Donnerstag, 22. Mai 2008

Meg Baird & Sharron Kraus, Paris, 21.05.08


Konzert: Meg Baird & Sharron Kraus

Ort: Belushi's Bar, Paris
Datum: 21.05.2008
Zuschauer: ca. 70
Konzertdauer: insgesamt dauerte die Veranstaltung mit drei Künstlerinnen fast 3 Stunden


In der U-Bahnstation Ecole Militaire ärgere ich mich über diese schnöseligen, jungen Anzug-und Krawattenträger, die mich förmlich umzingeln. Wie sie da rumstehen mit ihren Designerbrillen, dem bereits schütteren Haar und den schwarzen Aktenköfferchen, hach schrecklich! Sie kommen bestimmt gerade vom Arbeitsschluss in ihrer amerikanischen Topanwaltskanzlei, oder ihrer Investmentbank, die im Rahmen der Kreditkrise gerade 20 Milliarden Euro in den Sand gesetzt hat. Es ist 20 Uhr 20, die Typen in diesen Läden arbeiten sehr lange, wahrscheinlich kommen sie heute deutlich früher nach Hause als sonst. Irgendwie sehen sie alle gleich aus: streberhafte Fresse, verklemmte Haltung und die flache, sauteure Designerarmbanduhr am Handgelenk, man muss ja schliesslich zeigen wofür man schuftet.

Einer der Typen ist etwas lockerer drauf, er knutscht seine hübsche Freundin gleich vor mir ab.
Eine flotte Biene, die Kleine, nicht zu schickimiki, lässiger als ihr Freund, an dem sie aber bestimmt mag, dass er jeden Monat 10 000 Euro auf sein Konto gutgeschrieben bekommt. Seine Brille stammt von Christian Dior, man kann es an den Initialen CD auf dem Bügel ablesen. Sobald sein Liebchen die U-Bahn wechselt, zückt er sein Blackberry und checkt seine Mails. Junge Leistungsträger, sogenannte "High Potentials" werden nicht fürs Nichtstun bezahlt, da muss man immer erreichbar sein.

Zum Glück bin ich nicht in dieser Tretmühle gelandet, als damals noch junger Jurastudent war ich auf dem besten Weg dahin und sah auch genauso aus, wie die Kerle, über die ich lästere.
Aber auch für mich ist der Tag noch nicht gelaufen, ich muss auch noch arbeiten. Oder zumindest so etwas Ähnliches, denn Konzerte besuchen, Fotos schiessen und anschliessend Reviews verfassen, betreibe ich mit professionellem Eifer und Engagement. Viele Nächte habe ich mir deswegen schon um die Ohren geschlagen, meinem Bloggerpartner Christoph geht es genauso und trotzdem machen wir das hier extrem gerne.

Die Location Belushi's Bar ist als Konzertort neu für mich, hier war ich noch nie. Für den jungen Konzertveranstalter, den 26 jährigen Franzosen Mika, ist es ebenfalls eine Premiere. Der riesige Folk-Fan, hat noch nie zuvor einen Gig organisiert. Er hat seine Sache hervorragend gemacht, jedem Interessierten eine Mail mit Anreiseplan und anderen nützlichen Informationen zukommen lassen und vor allem für überschaubare 8 Euro folgende drei Künstlerinnen eingeladen:

- Erica Buettner
- Sharron Kraus
- Meg Baird

Als ich gegen 21 Uhr endlich die Belushi's Bar erreicht hatte (vorangegangen war ein Herumirren entlang der herrlichen Quai de Seine mit seinen hübschen Booten und an den Ufern gelegenen Cafés und Kinos), war die junge Erica Buettner mit ihren zwei männlichen Mitstreitern an Banjo und Cello schon voll zu Gange. Ich kannte die in Paris lebende Amerikanerin zuvor nicht, aber was sie bot, hatte Charme und machte neugierig. Auch andere Besucher fragten sich, ob es Tonträger zu kaufen gäbe. Die Blondine mit den wundervollen blauen Augen und der samtenen Stimme musste aber ihre neuen Fans vertrösten. Ein Album läge noch nicht vor, sei aber im Entstehungsprozess und werde wohl im Herbst 2008 erscheinen. Sie bat in einem sehr ordentlichen französisch darum, sich in die vorne ausliegende Mailingliste einzutragen, damit man zuküftig Informationen von ihr erhalte.

Nach circa 30 Minuten Spieldauer verabschiedete sie sich mitsamt ihren zwei männlichen Begleitern mit der hübschen Ballade "The Body Electric, die man auch ihrer MySpace Seite anhören kann.

Dann war ein kurzes Päuschen angesagt, dass ich auf einem der gemütlichen modernen Sofas verbrachte. Meine Augen wanderten über die Poster, auf denen man u.a. Jim "The Doors" Morisson, die Arctic Monkeys und den Giftzwerg von AC/Dc erkennen konnte. Damit versuchen die Barbetreiber wohl, die etwas modern- sterile Atmosphäre in dem Laden aufzulockern, von dem es Ableger überall auf der Welt gibt, auch in Berlin steht ein Belushi's Bar.

Aber solange das musikalische Angebot so vorzüglich wie heute abend ist, komme ich gerne hierhin und anscheinend mausert sich die Location zu einem Treffpunkt für Folk-Fans, denn vor kurzem gastierte hier auch Matt Bauer, der Mann am Banjo in der Band von Alela Diane.

Mit Banjo erschien auch die rothaarige Engländerin Sharron Kraus und trug mit unfassbar guter Stimme überwiegend Lieder ihres letzten Albums "The Fox's Wedding" vor. Sie klang wie eine Minnesängerin und brachte zu Beginn ein traditionelles Lied, das vor sage und schreibe vierhundert Jahren geschrieben worden war. Das Thema - die Liebe und all ihre Irrungen und Wirrungen - sei aber nach wie vor aktuell. Und das stimmt natürlich, die Liebe, ein zeitloses Thema und genauso zeitlos war der an Sandy "Fairport Convention" Denny erinnernde liebliche Gesang von Sharron.

Ich wunderte mich, dass ich von einem solchen Ausnahmetalent noch nie zuvor gelesen hatte und ärgerte mich darüber, wie unfair das Musikgeschäft ist. Eine talentlose Person wie Nelly Furtado verdient Millionen und Sharron Kraus spielt für 8 Euro vor 70 Leuten in einer Bar. Das kann doch eigentlich nicht sein!

Aber die Künstlerin selbst nahm das locker, freute sich riesig in Paris auftreten zu dürfen und lobte auch das schöne Wetter in der französischen Metropole. Sie komme sich vor wie im Urlaub, was dazu führte, dass sie mangels ausreichender Probe ein Lied, das sie lange nicht mehr gespielt hatte, vergeigte. "Ach, manchmal ist es schrecklich mit diesen ganzen Folk-Künstlern abzuhängen, wir gammeln tagsüber nur rum und arbeiten nicht genug. Folk singers just don't give a shit!"

Aber das stimmte natürlich nur zur Hälfte, denn es bedarf neben einem grossen Talent, auch Fleiss und Ausdauer, um Lieder dieser Güteklasse zu schreiben und interpretieren.

Eine ihrer Freundinnen, mit der sie tagsüber "abhängt", kam dann später hinzu. Ich spreche vom Stargast des heutigen Abends, der Amerikanerin Meg Baird, die auch schon in der Band Espers gesungen hat, bevor sie Solopfade beschritt. Die beiden haben Ende 2006 zusammen ein Album mit dem Titel "Leaves From Off The Tree" gemacht, von dem sie ein paar Songs vortrugen. Die Stimmen der Folkeusen ergänzten sich hierbei wunderbar, Meg mit der zarteren, teils flüsternden Stimme und Sharron mit dem festeren und klareren Kehlchen. Eine Wonne, ein Genuss!

Schade, dass es das zitierte Album nur auf Vinyl gab, sonst hätte ich sofort zugeschlagen. Um eine sperrige Platte mit nach Hause zu tragen, hatte ich einfach nicht ausreichend Platz in meiner Tasche.

Von "Leaves From Off The Tree" gab es am Ende des Sets von Meg Baird noch ein paar weitere Kostproben, denn da kam Freundin Sharron wieder mit hinzu. Vorher spielte aber Meg alleine an der Gitarre wunderschöne Folk-Balladen, die von ihrem hervorragenden Album "Dear Companion" stammten, das sie ohne ihre Band Espers 2007 veröffentlicht hatte.

Schon früh brachte sie den Titelsong, den es auch auf Single zu kaufen gab und verzauberte mit ihrer sensationellen Stimme und den berührenden Texten ("I drink nothing but my tears). Scheinbar mühelos wechselte sie die Oktaven und sprang zwischen hohen Klagegesängen und geflüsterten Passagen hin und her. Ihr Gitarrenspiel war sicher und bestimmt und trotz der Reduziertheit sehr effektiv. Wenige Griffe genügten, um eine melancholische Stimmung aufkommen zu lassen und mich zu verzaubern. Der "Waltze Of The Tennis Players" wurde ganz wundervoll getanzt und Meg Baird zwitscherte textlich nicht vom Tennis, sondern von "My love for you is a overnight sensation".

Noch schöner wurde es mit "All I Ever Wanted", dem traumhaftesten Song des Abends. "All I ever wanted was your loving" hauchte Meg Baird einfühlsam und mir stellten sich die Nackenhaare hoch. Als sie die Textzeile "Is that too much to ask" dahinflüsterte, war es ganz um mich geschehen. Ich hatte mich (platonisch) in die unscheinbare junge Frau verknallt. Schönheit kommt von innen, wohl war...

Leider plapperten ausgerechnet zwei deutsche Girlies während des Konzertes ungeniert und laut, so dass es mir irgendwann zu bunt wurde und ich sie mit einem energischen "Ruhe bitte!!" anherrschte. Mit einem Landsmann hatten sie nicht gerechnet und völlig erschrocken verstummten sie auf der Stelle. Gut so, ich war ein wenig stolz auf mich!

Auch ich will an dieser Stelle meinen Bericht beenden, weil ich ansonsten noch stundenlang von Meg und Sharron schwärmen würde.

Kauft unbedingt ihre CDs , das kann ich nur raten und geht auf ihre Konzerte und lasst Euch
von diesen Traumfrauen verzaubern !

Setlist Meg Baird, Belushi's Bar, Paris:

01: Riverhouse
02: Dear Companinon
03: The Waltze Of The Tennis Player
04: All I Ever Wanted
05: Soldier Traveling
06: We Share
07: Great Divide
08: Steam
09: Shame Rocks
10: The Cruelty Of Barbry Allen
11: Fortune My Foe

Konzerttermine von Meg Baird (bis auf den 3. und 5. Juni immer mit Sharron Kraus):

- 23.05.08: Amsterdam , Paradiso Bar
- 24.05.08: Amsterdam , Paradiso Bar
- 25.05.08: Tilburg, 013 Batcave
- 26.05.08: Gent, Morc HQ
- 27.05.08: Leiden, Sub 071
- 01.06.08: Mechelen, Café Zennegat
- 03.06.08: London, Amersham Arms (+ Dodos)
- 04.06.08: London, Cafe OTO
- 05.06.08: London, St. Pancras Church (Euston Road), mit Vetiver




3 Kommentare :

E. hat gesagt…

man, was für eine aufstellung! gerade das aktuelle album von sharron ist sehr schön. und über meg baird brauchen wir nicht zu reden. bin dann eher noch auf das neue gesicht gespannt. schieß los!

E. hat gesagt…

zauberhaft und sehr schön beschrieben, mein lieber. vielen dank dafür!
allerdings solltest du deine vorurteile etwas weniger deutlich pflegen.
ich erinnere mich an einen band mit karikaturen, den meine eltern im regal stehen hatten. unter anderem war da ein blatt, auf dem folgende szene abgebildet war: ein junge glotzte aus einem protzigen auto und sagte zu zwei kindern: ätsch, ich darf auto fahren. darauf die beiden, mit einem ball unter dem arm und dem entsprechenden gesichtsausdruck: ätsch, wir dürfen zu fuß gehen.

Oliver Peel hat gesagt…

Ich karikiere mich doch mit den Beschreibungen selbst, das sind keine Vorurteile sondern Selbstverunglimpfungen.

 

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