Mittwoch, 17. September 2008

June et Jim, Paris, 16.09.08


Konzert: June et Jim
Ort: Centre Musical Fleury Goutte d'or - Barbara, Paris
Datum: 16.09.2008
Zuschauer: 35-40
Konzertdauer: ca 45 Minuten



Wie ich denn zur Rue Fleury komme, möchte ich von dem Herrn in der marokkanischen Teestube wissen. Jetzt wären Arabisch-Kenntnisse gar nicht so schlecht. Nein, das ist natürlich Unsinn, die Pariser mit maghrebinischen Wurzeln sprechen fast alle französisch. Ihr Anteil an der Bevölkerung im Viertel Barbès scheint 95 % zu betragen, bleiche Franzosen laufen hier kaum auf der Straße rum. Die Gegend gilt nicht gerade als die beste in Paris, aber sie ist quirlig, nicht so eingeschlafen wie im vornehmen 16. Arrondissement wo die Leute wahrscheinlich vor Langweile sterben. Hier herrscht Trubel, das Leben spielt sich auf der Straße ab, Waren aller Art werden feilgeboten, u.a. auch dieses typische runde Fladenbrot, oder auch der köstliche Tee mit echter Minze.

Der Herr aus der Teestube erkundigt sich auf arabisch bei seinen Landsleuten, die gerade das Heißgetränk schlürfen und deutet mir mit ausgestrecktem Arm an: "C'est par là-bas, monsieur - da, geradeaus, mein Herr!"...

Er hat mich richtig geleitet, ein paar Meter weiter stoße ich auf einen Neubau, in dem das Centre Musical Fleury Goutte d'or- Barbara beheimatet ist. Die Türe ist aber noch verschlossen und nur ein paar Leutchen lungern draußen am Eingang herum. Araber sind keine darunter, die hören wohl lieber Rai oder Hip Hop (ja, ja, immer diese Klischees...).

Heute gibt es aber weder Rachid Taha (den König des Rais) noch Kenza Farah (die neue Prinzessin des französischen Hip Hops, eine fürchterliche Musikgattung, auch wenn Kenza selbst sehr süß ist) zu sehen und zu hören, sondern das französisch-spanische Duo June et Jim, die eine interessante Mischung aus Folk und (Nouvelle) Chanson bieten.

Zunächst einmal heißt es aber warten. Dabei hatte ich mir noch Sorgen gemacht, ob ich rechtzeitig komme, denn eigentlich waren June et Jim für 19 Uhr 30 angesetzt.

Der Sesam zu dem Musikzentrum öffnet sich schließlich gegen 19 Uhr 45, aber es geht noch nicht los, denn im eigentlichen Konzertsaal lungern gerade mal 5 Leutchen auf dem Boden rum. Liegt es an der unzureichenden Werbung für das festival des attitudes indépendantes oder sind heute alle Indie-Fans bei den Wombats? - Schwer zu sagen, in Paris ist halt eben jeden Tag irgendwo etwas los, da ist es nicht so leicht, Leute anzulocken. An der Band liegt es jedenfalls nicht, denn die ist gut! Davon kann ich mich nach einem stärkenden Minztee (auch hier drinnen dreht sich irgendwie alles um Marokko...) selbst überzeugen.

Ich sehe June et Jim heute zum zweiten Mal. Kennengelernt habe ich sie vor ein paar Monaten im Java, im Vorprogramm der famosen Alina Simone. Damals spielten die beiden fast ausschließlich Lieder von ihrem ersten, selbstproduzierten Album Les Vivants, dessen Cover sie liebevoll selbstgestaltet haben. Mit viel Liebe zum Detail ist sowieso alles bei June et Jim gemacht, auch das neue Werk Fables, von dem heute so einige Titel gespielt werden. Da zupft Jim, der stolze Spanier, seine Gitarre nur zart an und die schöne June klöppelt sanft auf ihr Toy Piano und das süße Glockenspiel oder bläst melancholische Melodien in ihre Melodica. Die szenische Darbietung der beiden ist sehr theatralisch, man merkt vor allem bei ihr, dass sie Theaterunterricht genossen hat. Ihre Aussprache ist klar und präzise, die Stimme sinnlich und wunderschön. Sie erinnert mich manchmal an Francoiz Breut, einer wichtigen Figur im Bereich des sogenannten Nouvelle Chansons. Er wiederum haucht tiefe Töne im Stile eines Serge Gainsbourg (oder neuerdings Benjamin Biolay) in sein Mikro und spielt dazu ganz lässig Gitarre (oder ab und zu auch Klavier). Ein attraktives Paar, das aber nicht nur in der französischen Tradition verhaftet ist, an ihren Kompositionen haftet vielmehr auch amerikanischer Wüstensand. Sie lieben beide Smog (Bill Callahan), Lee Hazlewood und Daniel Johnston und das merkt man manchmal auch.

Ihre Darbietung hat auch etwas von einem lateinamerikanischem Tanz, mit dem typischen Wechselspiel aus Verführung und Distanzhalten. Das ist sexy und wirkt nie aufgesetzt, June et Jim haben ein natürliches Talent für die Bühne. Zur szenischen Darbietung gehört dann auch einmal das Lesen einer Zeitung und wenn June das Papier anschließend zerknüllt, wird das damit erzeugte Rascheln auch musikalisch eingesetzt. Das erfordert absolute Stille im Saal, aber die inzwischen circa 40 Personen im Raum verhalten sich vorbildlich und so hört man auch noch das leiseste von June angeschlagene Glöckchen. In der Musik steckt viel Melancholie und Poesie, wenn sie von ihrem neuen Album spricht, nennt sie das auf französisch "recueil", ein Begriff den man in der Literatur für das Erscheinen von neuen Büchern verwendet.

Zu den gespielten Chansons gehört das countryeske Les Aveugles (die Blinden) zu dem es auch bald ein Video geben soll und das wundervolle L'Epuisée (die Erschöpfte), das unter anderem von einem vertrockneten Baum in der Wüste handelt und mit herrlichen in die Länge gezogenen Chorgesängen aufwarten kann.

Nach circa 45 Minuten endet dann das hübsche Konzert, das mich in eine wohlige Stimmung versetzt hat. June und Jim, die zuvor meistens Distanz gehalten haben, kommen sich jetzt ganz nahe und singen sinnlich in das gleiche Mikro.

Ein reizendes Pärchen!




Setlist June et Jim, Festival des Attitudes Indépendantes, Paris:

01: Cendres
02: Les Vivants
03: Les Aveugles
04: Undka
05: Le Désert Entre Dans La Ville
06: L'Epuisée
07: Ville
08: Au Monde

Mehr Fotos von June et Jim hier




 

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