Freitag, 7. November 2008

Chumbawamba, Köln, 06.11.08


Konzert: Chumbawamba
Ort: Underground, Köln
Datum: 06.11.2008
Zuschauer: vielleicht 200
Dauer: Chumbawamba 80 min, Bettina Schelker 45 min


"So lange Jude nicht da ist, werden wir ihr für alle Fehler die wir machen, die Schuld geben!" Jude Abbott, Sängerin und Trompeterin des englischen Musikkollektivs Chumbawamba war noch auf der Anreise, als ihre Kollegen ihr Konzert im Underground begannen. Sie wußten offenbar nicht genau, wann Jude ankommen würde und starteten ihr Set daher erst einmal zu viert.

Chumbawamba gehörte schon immer zu meinen liebsten Bands. Weil ich aber lange Jahre keinen Spaß an Konzerten hatte und die Engländer danach nur an absurden Orten gespielt haben (in Osnabrück zum Beispiel), war es für mich eine späte Premiere. Ich kaufe zwar eifrig weiter Chumbawamba-Alben, hatte aber irgendwie schon abgehakt, deren mehrstimmige, wundervolle Lieder einmal live zu sehen. Vor Monaten war ich dann auf der Homepage des Underground, um zunächst festzustellen, daß da ausschließlich Bands spielen, die mir nicht(s) (zu)sagen, entdeckte ich plötzlich den an Kaugummi erinnernden Bandnamen. Obwohl an dem Tag starke Konkurrenz herrschte (Tomte im E-Werk, die Subways in der Live Music Hall, naja und Slayer im Palladium), war für mich nicht eine Sekunde unklar, was ich sehen wollte. Im Underground war ich auch ewig nicht mehr, zuletzt hatte ich da die jetzige deutsche Nummer eins, Polarkreis 18 gesehen.

Jude war also nicht da. Die übrigen Bandmitglieder, Sängerin Lou Watts, die Gitarristen Neil Ferguson und Boff Whalley und Akkordeonist Phil Moody bestritten also den Anfang alleine. Judes Trompete und Mikrophon standen unbenutzt zwischen den anderen, während sie Fade away anstimmten. Und wenn das Instrument der fehlenden Partnerin dran gewesen wäre, rief Neil "Jude, trumpet!" und Phil Moody übernahm die Bläserstellen mit dem Akkordeon! Wundervoll!

Oder danach: "Bei diesem Lied fehlt Judes Stimme besonders. Vielleicht könnte einer von Euch ihre Harmonie bei diesem Lied mitsingen. Aber Vorsicht! Die ist sehr hoch!" Diese Improvisionen hatten enorm viel Charme, klappten nicht immer, das tat aber überhaupt nicht weh.

Auch wenn es so schon hoch amüsant war, waren aber alle doch sichtlich erleichtert, als Jude nach einem improvisierten Homophobia endlich erschien. Die blonde
Sängerin entschuldigte sich in nahezu akzentfreiem Deutsch. "Guten Tag! Entschuldigung für meine Verspätung!", um dann mit Neil über den bisherigen Verlauf zu sprechen, insbesondere über das gerade gespielte Homophobia, bei dem ihre Stimme ersetzt werden musste. "Jahrelang habe ich versucht, Neil den Text von Homophobia beizubringen, endlich kann er ihn." - "Naja, nicht so richtig..." - "Ich weiß, ich habe es gehört. 'Lalalalala'!"

Auch wenn die Zeit der Improvisationen vorbei war, blieb es sensationell unterhaltsam! Zum einen, weil die Musik der so harmlos aussehenden und klingenden bitterbösen Anarcho-Punks mir so sehr am Herzen liegt, zum anderen aber auch, weil dauernd etwas passierte. Mal verpasste einer verträumt den Einsatz, ein anderes Mal erzählten die Musiker Anekdoten mit solch einem trockenen Humor, daß es eine reine Freude war. Bei der richtigen Band liebe ich es, wenn die Lieder vorher erklärt werden. Chumbawamba taten das bei fast jedem Stück. "Ich lese in der Zeitung immer wieder Geschichten über 'millionaire popstars', wie Bono oder Chris Martin, die klagen, wie schwer doch ihr Leben sei, wie hart die Arbeit am letzten Album gewesen sei, während diese millionaire popstars das Bett gemacht und ihr
Essen jeden Tag zubereitet bekommen. Auch wenn wir wirklich keine millionaire popstars sind, freue ich mich jeden Tag, daß ich meinen Lebensunterhalt mit etwas verdienen darf, was mir so viel Freude macht." Die besseren Gutmenschen.

Oder "es gibt zu wenig Lieder über die Evolutionstheorien von Charles Darwin. Wir möchten das ändern und haben ein Lied über seine Theorien geschrieben, es heißt 'Charlie'"

Charlie, um wieder zur Musik zu kommen, enthielt auch einen ganz besonderen Knüller. Mittendrin kam nämlich
"pissing the night away, pissing the night away", eine Zeile aus ihrem größten kommerziellen Erfolg Tubthumping, der sonst ignoriert wurde. Toll! Aber es wurde noch besser... Während wir lachten, spielte einer der Gitarristen das Charlie-Gitarren-Grundmuster weiter. "Standard backing for every Johnny Cash Song. Will jemand von euch mal hier seinen Lieblings-Cash-Song singen?" Leider traute sich niemand! "Einer macht das immer! Nein, das ist leider gelogen, es hat noch nie jemand gesungen. Aber das war in England. Hier sind wir in Deutschland, also los!" Niemand. Also stimmte Neil den Folsom Prison Blues an. "Ihr kennt es also doch!" Und nach minutenlanger Unterbrechung ging Charlie weiter...

Chumbawamba spielten Lieder aus allen Phasen ihrer langen Karriere. Die meisten Lieder stammten vom aktuellen Album The boy bands have won (das eigentlich einen längeren Namen hat, nämlich The Boy Bands Have Won, and All The Copyists
and The Tribute Bands and The TV Talent Show Producers Have Won, If We Allow Our Culture To Be Shaped By Mimicry, Whether From Lack Of Ideas Or From Exaggerated Respect. You Should Never Try To Freeze Culture. What You Can Do Is Recycle That Culture. Take Your Older Brother’s Hand-Me-Down Jacket and Re-Style It, Re-Fashion It to the Point Where It Becomes Your Own. But Don’t Just Regurgitate Creative History, Or Hold Art And Music And Literature As Fixed, Untouchable And Kept Under Glass. The People Who Try To ‘Guard’ Any Particular Form Of Music Are, Like The Copyists And Manufactured Bands, Doing It The Worst Disservice, Because The Only Thing That You Can Do To Music That Will Damage It Is Not Change It, Not Make It Your Own. Because Then It Dies, Then It’s Over, Then It’s Done, and The Boy Bands Have Won). Aber die Band spielte auch Stücke ihrer CD English Rebel Songs 1381 - 1914, ihr sensationell tolles Clash Cover Bankrobber, das nach Tubthumping wohl bekannteste Lied Timebomb oder das einem verstorbenen Sänger einer Nazi-Band gewidmete The day the Nazi died.

Bei einer Band wie Chumbawamba, die vierzehn (oder so) Platten veröffentlicht hat, auf denen teilweise mehr als zwanzig Lieder sind, fehlen natürlich live immer ein paar Lieblinge. Ich konnte mich aber nicht beschweren, denn jedes gespielte Stück war großartig!

Sensationell auch ihre Version des Beatles Songs Her Majesty ("Her Majesty is a pretty nice girl, but I hope she's the end of the line"). Bevor sie wieder in das Land des hübchen Mädchens verschwanden, sangen die Chumbawambas noch Bella ciao. Ich hoffe, es war nur ein Auf Wiedersehen! Diese fabelhafte Band habe ich viel zu lange nicht live gesehen, um sie nicht bald wieder live erleben zu wollen (macht das Sinn? Ich finde schon.)

Setlist Chumbawamba, Underground, Köln:

01: Fade away (I don't want to)
02: Song on the times
03: Add me
04: Homophobia
05: Jacob's ladder (not in my name)
06: Hanging on the old barbed wire
07: Timebomb
08: Bankrobber (The Clash Cover)
09: Stitch that
10: Sing about love
11: I wish that they'd sack me
12: Charlie (incl. einer Zeile Tubthumping)
13: The day the Nazi died
14: El Fusilado
15: On ebay

16: Buy nothing day (Z)
17: Her Majesty (Z)
18: Bella ciao (Z)



2 Kommentare :

Olly Golightly hat gesagt…

in der Kürze liegt die Würze ;o)

Christoph hat gesagt…

Ach verflucht, vollkommen vergessen! Morgen! (Auch wenn mir keiner mehr glaubt).

 

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