Donnerstag, 26. März 2009

Faustine Seilman, Paris, 25.03.09


Konzert: Faustine Seilman

Ort: 25.03.2009
Datum: 25.03.2009
Zuschauer: ca. 40
Konzertdauer: ca. 45 Minuten




Förmlich an die Decke gehüpft vor Freude bin ich, als ich las, daß die famose Pianistin Faustine Seilman im Pariser Pop In spielen würde. Vor über einem Jahr (genauer gesagt am 20.11.2007) hatte ich sie zufällig bei einem Konzertabend ihres tollen Nanter Labels Effervescence im Nouveau Casino kennengelernt. Ihr Album war in etwa zeitgleich erschienen und lief bei mir unzählige Male auf meinem I-pod. Manchmal vernachlässigt man ja aus Zeitmangel manche vorzüglichen Alben, aber Silent Valley hat von mir glücklicherweise die Aufmerksamkeit bekommen, die es verdient hat. Zu schön und ergreifend waren Stimme und Pianospiel von Faustine, als daß ich daran vorbeikonnte. Keine Chance! Faustine selbst hat sich aber seitdem eher rar gemacht, meines Wissens war sie nur noch einmal in Paris und zwar Ende vergangenen Jahres im Café de la danse zusammen mit Josephine Forster. War bestimmt ein hochklassiges Konzert, was mir da durch die Lappen gegangen ist, aber man kann ja leider nicht überall sein. Umso größer war nun meine Freude, daß das brünette Mädchen aus Nantes nun endlich mal wieder die französische Kapitale beehrte.

Aber sie ließ die Zuschauer im Pop In zunächst etwas zappeln. Leute die häufiger zu (Gratis)- Konzerten in den Keller des urigen Pubs kommen, wissen, daß man es hier mit Anfangszeiten nicht so genau nimmt. Wenn das Konzert für 21 Uhr angegeben ist, muß man keinesfalls vor 21 Uhr 30 da sein, denn die Tür zum Keller wird mit Sicherheit noch verschlossen sein. Heute war es aber schon weit nach 22 Uhr geworden, bevor sich der Sesam öffnete. Faustine war gerade erst vom Essen zurückgekehrt und probte noch ein wenig auf ihrem Klavier. Das gab mir die Gelegenheit, eine nette junge Französin aus Bordeaux kennenzulernen. Sie erzählte mir, daß sie Freunde hier hingeschickt hätten, da diese Mademoiselle Seilman zuvor in Bordeaux gesehen hatten und hellauf begeistert waren. Anscheinend waren aber leider nur ganze 7 (!) Leute zu diesem Konzert gekommen. Etwas mehr waren es hier und heute in Paris aber schon, obwohl man viel Platz im Keller hatte, nachdem gegen 22 Uhr 15 endlich Einlaß gewährt wurde. Faustine Seilman selbst saß auf einer Steinstufe, nippte an ihrem Bierglas und wartete, daß die Zuschauer eintrudelten. Dann stand sie auf, setzte sich hinter ihr elektronisches Klavier und stellte sich erst einmal höflich vor. Nicht selten erlebt man, daß Folksängerinenn sich nur sehr schüchtern und zaghaft vorstellen und kaum ihren Namen herausbringen, so verängstigt und scheu sind sie. Faustine aber, obwohl äußerlich sehr ruhig und zurückhaltend wirkend, hatte eine klare und feste Stimme und vergaß auch nicht zu erwähnen, daß sie aus Nantes stamme und zum ersten Mal seit vier Jahren wieder ein reines Solokonzert gäbe. Normalerweise hat sie nämlich eine mehrköpfige Band dabei, mit der ich sie auch damals im Nouveau Casino erlebt hatte. Aber schon nach dem Erklingen der ersten Noten war klar, daß dies keineswegs den Genuß verringerte, im Gegenteil! Die wunderbar warme und klare Stimme von Faustine kam so noch besser zur Geltung und man war unmittelbar ins Geschehen einbezogen. Die Intimität in dem kleinen Raume war wirklich atemberaubend. Man war Faustine und ihren tiefmelancholischen Liedern so unglaublich nahe, es fühlte sich an, als würde sie im privaten Wohnzimmer spielen. Meine Augen waren auf ihre Mimik gerichtet. Ähnlich wie eine Sophie Hunger lebt auch Faustine ihre Stücke mit Haut und Haar, entgleitet während des Vortrages in eine Art Parallelwelt und legt unfassbar viel Leidenschaft in jede einzelne Zeile. Ihre Texte sind sehr düster und nachdenklich, manchmal anklagend. In The Ballad Of A Starving Man setzt sie sich mit dem Leiden der Armen in einer reichen Gesellschaft auseinander, ähnlich wie das eine ihrer Lieblingsbands A Silver Mt Zion bei A Million Died To Make This Sound tun. Sie beklagt die sozialen Ungerechtigkeiten und die Gleichgültigkeit der Wohlhabenden gegenüber dem Elend der Aussätzigen:" I looked outside and these greedy people eating and filling their faces without hunger; a piece of paper is not enough to feed me, I'm cold I'm starving I can't feel my fingers moving and they don't give a shit! My body is dying, but I shouldn't wait for them"...

Harter Tobak, der nahegeht ohne die Kitschgrenze zu überschreiten, denn leider hat sie ja so recht mit ihrer Aussage, jedes Jahr Im Winter verenden Penner elend auf der Straße vor großbürgerlichen Häusern und niemand schert sich groß darum...

"I can't feel my fingers moving", sang sie so eindringlich und just in diesem Moment sehe ich auf ihre kleinen agilen Hände. Hände eines kleinen Mädchens an den Armen einer Mitte 20 jährigen Frau, die glücklicherweise nicht immer so ernst und traurig ist, wie das ihre Lieder vermuten lassen würden. In den Pausen zwischen den Songs lächelt sie wunderschön und bedankt sich aufrichtig über den Applaus, der von Stück zu Stück größer und intensiver wird. Die meisten Leute kannten ihre dramatischen Lieder vorher nicht, sind aber zusehends hingerissen von der Leidenschaft und der Poesie des Vortrages. Ihre Stimme ist noch fester und lauter als auf CD, noch schöner. Das setzt mir emotional stark zu. Es gibt keinen Schutzschild zwischen Faustines ergreifenden Geschichten und dem Publikum, alles ist sehr direkt und nahegehend. Steppenwolf ist so grandios daß ich mir wünsche, es würde nie aufhören. Ihrem Klavierspiel zuzusehen ist eine Wonne; wie flink ihre Finger von links nach rechts greifen, das ist einfach zu großartig! "We have to move to a warm place" singt sie in dem Song, der mich natürlich an das epochale Buch von Herman Hesse denken lässt und der Künstlerin selbst ist es im Laufe des Sets warm geworden. Sie muß sich ihrer Jacke entledigen. Mir persönlich ist es vor allem in der Gegend um das Herz sehr warm...

Menno, ich hatte mir vorgenommen, diesmal nicht so zu schwülsteln wie in meinem Konzertbericht über Sophie Hunger, aber ich kann nicht anders, das hier ist schon wieder zu ergreifend! Wann kommt endlich das neue Album? Ich bin so dreist reinzurufen und nach dem Releasedatum zu fragen. Erst frühestens Ende 2009 ist die ernüchternde Antwort. Wie soll ich bitte schön so lange warten, wenn schon die Kostproben wie z.B. das neue The Shepherd schon wieder so wundervoll sind? Faustine, Du kannst mich doch nicht so lange zappeln lassen!

Gegen Ende kommt dann auch noch der spitzbärtige Musiker The Healthy Boy hinzu und spielt mit viel Körpereinsatz Gitarre. Er geht jedesmal tief in die Knie, bewegt sich ganz virtuos, das habe ich in dieser Art vorher noch nie gesehen. Er singt auch ab und zu und ist mit Sicherheit selbst ein toller Musiker. Wenn ich nicht zu erschöpft gewesen wäre, hätte ich mich auch gerne davon überzeugen lassen, denn er ist nach Faustine mit seinem Eigenwerk an der Reihe. Ich aber verlasse das Pop In, denn jeder kennt ja den Spruch: "Man soll gehen, wenn es am schönsten ist." Und das war ganz klar bei Faustine Seilman der Fall!

Am Ende kommt noch einmal das Mädchen aus Bordeaux auf mich zu und sagt ganz bewegt : "Das war zum Weinen schön, ich hatte Tränen in den Augen...

Setlist Faustine Seilman, Le Pop In, Paris 2009:

01: Road Of Silence
02: The Ballad Of A Starving Man
03: Soap Opera
04: Steppenwolf
05: The Shepherd
06: Holy Shit
07: Hopefully
08: Keys Are Bound To Be Found
09: Plic Ploc
10: God

Links:

- Faustine Seilman am 20.11.2007 im Pariser Nouveau Casino hier
- mehr Fotos von Faustine Seilman hier
- Videoclips von Faustine Seilman: Keys Are Bound To Be Found,
The Man Who Said No, Sincerly Yours live, Soap Opera




3 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Oh, da wäre ich gerne dabei gewesen! Ihre CD könnte ich mir auch mal wieder anhören, danke für's erinnern!

Oliver Peel hat gesagt…

Woher kennst Du eigentlich die ganzen tollen Künstler aus Nantes, Christina?

Ich fiebere der neuen CD von Faustine entgegen!

E. hat gesagt…

wäre mir auch eine anreise wert. da muss ich dir, oliver, noch nachträglich danken, dass du mich mit faustine bekannt gemacht hast. die scheibe liegt in griffweite. schöner bericht, dem das gefühlige gut steht.

 

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