Montag, 23. März 2009

Frida Hyvönen & Norman Palm, Festival Top Of The Folk, Rennes, 21.03.09


Konzert: Festival Top Of The Folk, Rennes, Frankreich, mit La Terre Tremble!!!, Norman Palm, Frida Hyvönen, Clara Clara

Ort: Aire Libre, Rennes, Bretagne
Datum: 21.03.09 Zuschauer: ein paar hundert
Konzertdauer: pro Künstler ca. 50 Minuten





"Haben sie wirklich die Absicht, dahin zu fahren?"

Die junge Frau am Merchandising Stand der Agentur Les Boutiques Sonores schien sehr verwundert zu sein. Ich hatte gerade an einem Gewinnspiel teilgenommen, bei dem man eine Karte für das Festival Top Of The Folk in Rennes gewinnen konnte und erkundigte mich interessehalber wie weit denn Rennes von Paris entfernt sei. "Das sind über 300 Kilometer, knapp zweineinhalb Stunden mit dem TGV. Kennen sie überhaupt einen der auftretenden Künstler?", fragte sie skeptisch und war überrascht, daß mir sowohl Findlay Brown und Frida Hyvönen (Headliner des ersten bzw. zweiten Tages), als auch Arch Woodman und f.hiro etwas sagten.

"Warum denn nicht, das Line Up ist doch sehr gut!", war also meine Antwort auf die eingangs gestellte Frage.

In den folgenden Tagen vergaß ich die Geschichte mit dem Festival aber wieder, da ich ohnehin nicht davon ausging, daß ich eine Karte gewinnen würde. Schließlich habe ich schon Glück in der Liebe (haha!), warum sollte ich dann auch noch Glück im Spiel haben? Vielleicht weil ich einer der ganz wenigen war, der überhaupt den Zettel mit den richtigen Antworten abgegeben hatte? Wie auch immer, mein Name war auf der Gästeliste vermerkt und zwar für den zweiten Festivaltag mit Frida Hyvönen. Cool!

Eine Kosten /Nutzenrechung unterließ ich aber lieber, denn ich bin ja kein Mathematiker, sondern Rock'n Roller und denke mit dem Bauch und nicht mit dem Kopf! Oder so. Die Rechnung hatte nämlich ergeben, daß ich insgesamt ca. 100 Euro für den Zug berappen musste und auch ein Hotel brauchte, daß noch einmal 60 Euro kostete. Mein Gewinn- der Listenplatz- war gerade einmal 9 Euro wert...

Das Festival kam mich also nicht gerade günstig zu stehen, aber ich musste mal raus aus Paris, etwas anderes sehen. Und an Top Of The Folk gefiel mir schon jetzt alles: Das Line Up der vorhergehenden zwei Editionen (u.a. mit This The Kit (auf dem Foto rechts zu sehen), The Rodeo, Serafina Steer und Gravenhurst), die liebevoll gemachten Poster und Flyer und der Ansatz, neue hochinteressante Talente fernab der Mainstreamsoße zu fördern und ihnen eine Bühne zu gewähren. Das mußte ich einfach unterstützten!

Nach gut zweistündiger Zugfahrt kam ich in dem modernen Hotelklotz an und fragte den Kerl an der Rezeption frohgelaunt, ob er denn das Festival Top Of The Folk kenne. "Pas du tout" - nie gehört, so seine recht schroffe Antwort und sein herablassender Tonfall ließ auch nicht darauf schließen, daß er je in seinem Leben mal dahin wolle. "Soll er sich doch die Ohren mit Johnny Hallyday zudröhen, daß es ihm sonstwo wieder rauskommt!", dachte ich mir insgeheim, blieb aber höflich und erkundigte mich lediglich, wo denn die Austragungsstätte liege. Er guckte desinteressiert auf den Stadtplan und meinte nur: "Ist weit, völlig außerhalb, da brauchen sie ein Auto!" - "Ein Auto? Wo soll ich das denn jetzt hernehmen? Brauche ich etwa einen Mietwagen?", geisterte es mir durch den Kopf. Der Rezeptionsknecht gab aber Entwarnung: "Ich kann ihnen ein Taxi bestellen, kostet aber circa. 20 Euro. " - Auch das noch! Aber hatte ich die Wahl? Nein, also ließ ich mir das Taxi für 19 Uhr 30 bestellen...

"Ich glaube, sie werden die Konzerte hungrig erleben müssen", meinte der Taxifahrer schmunzelnd, als ich ihn fragte, ob man auf dem Festival oder in der Nähe etwas essen könne. Ich fand das gar nicht so komisch, hatte eine Bärenhunger, da ich im Zug wegen des Servicepersonalstreiks nichts zwischen die Kiemen bekommen hatte. "Aber irgend etwas muß es doch da zu mampfen geben, oder nicht?," fragte ich eingeschüchtert und relativ verzweifelt. "Wenn sie Glück haben, hat der kleine Tante- Emma Laden daneben noch auf", machte der Kutscher mir ein wenig Hoffnung. War aber nicht so, vor dem Aire Libre angkommen, war außer einer Bar alles zu! Und in der Bar hingen nur ein paar lokale Suffköppe rum, denen flüssige Nahrung vollkommen reichte. Meine Nachfrage nach etwas Essbarem wurde von dem Patron negativ beschieden. "Warten sie!", meinte er plötzlich, "da hinten gibt es einen Pizzawagen, gleich auf dem Kirchplatz, der dürfte noch geöffnet haben. Versuchen sie dort ihr Glück!" Und in der Tat, der freundliche Pizzabäcker arbeitete noch und machte mir gerne eine Pizza Margerita, die ich wie ein ausgehungerter Wolf auf einer Parkbank in mich reinschlang. Passanten , die auch zum Festival wollten, gingen vorbei und wünschten mir "einen guten Appetit", ich konnte aber nicht antworten, weil ich den Mund mit Käse voll hatte...

Satt war ich also, als ich eintrat und nun bestens für eine tollen Konzertabend gerüstet! Es war inzwischen 20 Uhr 30, aber die Leute hingen alle noch an der Bar rum und es dauerte eine Weile, bis man gebeten wurde, sich doch bitte Richtung Konzertsaal zu bewegen. Die Leute tröpfelten ganz langsam ein und vom Band lief düstere Musik, so ähnlich wie Nick Cave, aber der war es nicht. Noch einmal 10 Minuten später kamen drei großgewachsene junge Männer auf die Bühne geschlichen, winkten kurz ins Publikum und legten los. Schon nach den ersten kurzangerissenen Gitarrenriffs war klar, was hier gespielt wurde: Mathrock! Und zwar depressivster und gruseligster Machart! Eine gespenstische, mystische Musik voller überraschender Brüche und Wendungen, Lichtjahre von der einfallslosen Mainstreamkacke von Foals entfernt. Ich war fasziniert, in den Bann gezogen von den schwer einzuordnenden Klängen, die fast hypnotische Wirkung auf mich ausübten. Gesungen wurde selten, aber das war auch nicht wesentlich. Entscheidender war die spannende, dichte Atmosphöre, die geschaffen wurde. Ein Teil des Stoffes war tanzbar, aber jedes Lied wechselte mehrfach die Richtung, so daß man nie vorher wusste, wie man sich zu bewegen hatte. Wirklich Vergleichbares hatte ich selten zuvor gehört. Man könnte natürlich Battles als die Mathrock Band schlechthin nennen, aber das hier war sehr eigenständig und anders. Es gab Spurenelemente von Slint, Mogwai, oder auch den Dodos, ohne jedoch wirklich viel damit zu tun zu haben. Auf der Suche nach ähnlichen Bands wird man deshalb wohl am ehesten in Frankreich selbst fündig und zwar in der Gestalt der fantastischen Papier Tigre, die genau wie La Terre Tremble!!! bei dem vorzüglichen Nanter Label Effervescence untergbracht sind. Ein Label gespickt mit avantgardistischen Bands, die Genregrenzen sprengen und mit La Terre Tremble!!! haben sie da wirklich einen dicken Fisch an Land gezogen! La Terre Tremble!!! selbst sehen nämlich durchaus auch eine folkige Seite in ihrer Musik und als Beleg dafür ergriff der besessen aufspielende Drummer gegen Ende sogar eine Akustikgitarre und sang dazu.

Leider gab es das neue , zweite Album noch nicht zu kaufen, da es erst Mitte April erscheinen wird. Davon stammten auch die meisten Lieder des Sets, u.a. auch This Stupid Piece Of Wood, das man auf der MySpace Seite anhören kann.

Ein vorzüglicher Auftakt für den zweiten und letzten Festivaltag hier in Rennes!

Setlist La Terre Tremble!!!:

01: Zwischenstadt
02: 4 Accords
03: Landscape Analphabet
04: The Stupid Piece Of Wood
05: Posdisco
06: Carven

Dann war eine Pause angesagt und ich erfreute mich an den im Vergleich zu Paris äußerst günstigen Preisen. Die Cola kostete hier nur 1,50 Euro, da bezahlt man in der Stadt der Liebe oft das Dreifache und mehr! Vielleicht sollte ich nach Rennes ziehen...

Laut Norman Palm ist Rennes ja sowieso eine der drei schönsten Städte in ganz Frankreich, neben Paris und...Roubaix! Dies waren nämlich die drei Tourziele des jungen Berliners in Frankreich. Zusammen mit seiner finnischen Begleitband trat der sympathische Mann mit der Akustikgitarre nun im oberen Konzertsaal auf, der einem Kino gleichte.
Man saß auf bequemen roten Sesseln und harrte der Dinge, die nun folgen sollten. Die Bühne war noch verwaist, aber auf einer Leinwand sah man ein weißes Quadrat, in dessen Mitte ein kindlich gezeichnetes Gesicht eines Jungen mit Brille zu erkennen war. Aus seinem Munde stiegen Noten auf. Gebettet war das Ganze auf einem CD Cover von Neil Youngs Meisterwerk Harvest. Norman Palm scheint also traditionelle Folkmusik zu mögen, soviel war klar. Ansonsten wußte ich aber bisher nicht viel von meinem Landsmann. Bei einer flüchtigen Ansicht seines MySpace Profils hatte ich gesehen, daß es dort ein Cover von The Cure gab: Boys Don't Cry. Das gefiel mir schon einmal, zumal The Cure eine fantastische Band ist, die mir letztes Jahr bewiesen hat, daß sie trotz des mainstreamigen Erfolges nach wie vor nicht nach fiesem Stadionrock klingt. The Cure Cover scheinen ohnhehin in zu sein, denn vor ein paar Monaten hatte mich schon die Folksängerin Mariee Sioux mit einer außergewöhnlichen Neuinterpretation von Lovesong begeistert. Zudem gibt es ein Tribute Album, zu dem größtenteils Folksänger Coverversionen begetragen haben...

Die Vorzeichen für ein schönes Konzert standen also gut. Dann kam Norman Palm schließlich auch zusammen mit einer schwarzhaarigen jungen Dame und einem großgewachsenem Herrn auf die Bühne. Norman stellte sich und die anderen auf englisch vor und sagte, daß seine Band zu 66 (Komma wieviel?) % finnisch und zu 33, 333 % (Periode oder so, was?) deutsch sei. Er selbst vertrat die Bundesrepublik, das hübsche Mädchen genau wie der Hüne Finnland. Sie war für die wundervollen Videoanimationen zuständig und konzentrierte sich auf ein Apple Notebook, der lange Skandinavier spielte solch tolle Instrumente wie Xylophon, Glockenspiel und Melodica. Mein Landsmann hingegen sang und gratzte auf der Akustikgitarre. Ein sympathisches Trio, das das Debütalbum, schlicht Songs betitelt, der Reihe nach durchexerzierte. Am Merchandising Stand hatte ich schon die traumhaft schöne gebundene Ausgabe des Werkes gesehen, allerdings keine Zeit gehabt, das Büchlein durchzublättern. Diese Arbeit wurde mir jetzt abgenommen, denn zu jedem Song gab es die passende Illustration, beigesteuert von der charmanten Nordländerin mit dem bezaubernden Lächeln. Los ging es mit Floating Around, zu dem praktischerweise die Texte bildlich mitgeliefert wurden. "I could never ride a horse and I could never ride a chorus, but I can sing".... Ein phasenweise pessimistischer Text ("nothing gets along") über einen jungen Mann, der sich weder für cool noch besonders talentiert hält und nach dem sich die Frauen auch nicht umdrehen, bei dem die starke Annnahme besteht, daß er autobiografisch ist. Und selbst wenn der Inhalt mal gestimmt haben sollte, so kann ich mir doch vorstellen, daß Norman inzwischen jede Menge Avancen von den Damen bekommt (Frauen stehen nun einmal auf Musiker!) und auch Talent kann ich ihm bedenkenlos unterstellen. Er verfügt nämlich über eine richtig schöne und ungewöhnliche Stimme, ein gefühlvolles Gitarrenspiel und eben diese tollen selbstironischen Texte, die voller Hoffnung und Poesie sind. Wenn man unbedingt musikalische Referenzen braucht, um den Singer/Singwriter verorten zu können, so würde ich auf internationaler Ebene Bright Eyes, die Decemberists, Chris Garneau, Windmill, Jose Gonzalez , Teitur und Sophia und aus deutscher Sicht Künstler wie Gisbert zu Knypshausen, Peter Licht oder Björn Kleinhenz nennen. Aber lassen wir doch lieber diese Vergleiche, jeder Artist hat sein eigenes Universum und Norman erzählt nun einmal seine persönlichen berührenden Geschichten eines Kleinstadtjungen, der in die weite Welt aufgebrochen ist. Geschichten, die oft mit dem schönsten Thema, der Liebe, zu tun haben, wie man auch in dem begleitenden Kommentar zu dem treibenden Army Nation ( gibt es da irgendeinen Bezug zu den White Stripes?) lesen kann, in dem man erfährt das er sein Leben nicht noch einmal leben möchte ("I dont want to live this life again") möchte. Noch berührender ist aber Oh Elisa (Achtung ich halte mich nicht mehr an die chrologische Abfolge!), das mich auf Flügeln trägt und mir das Gefühl gibt, daß ich an keinem besseren Ort der Erde als hier auf diesem tollen Festival in Rennes sein könnte! Boys Dont Cry bestätigt dieses Gefühl, denn Norman macht auf kuriose Art und Weise Geräusche mit seinem Mund, die sich nach einer Trompete anhören und das Intro des Songs darstellen. Er eignet sich den Klassiker von The Cure an und fügt in nahtlos in sein Repertoire aus seelentröstenden Songs ein. Große Kunst ist das und ich applaudiere laut und anhaltend und bin auch sehr froh darüber, daß ein Landsmann den Franzosen mal zeigt, daß wir nicht nur Fußball spielen können, sondern auch musikalische Talente haben. Den Middletown Blues hätte schließlich auch ich schreiben können, denn ich weiß, wie es ist, wenn man in einem Kaff aufgewachsen ist, in dem die Hauptattraktion das örtliche Freibad ist. In Normans Dorf gab es aber auch noch die größte Monstertrackshow Europas, so etwas hatten wir bei uns nicht! Glücklicherweise haben wir aber beide den Abflug aus unseren Nestern geschafft und nur noch die nostalgischen Erinnerungen an die ländliche Gegenden im Gedächtnis, die manchmal gar nicht so verkehrt waren.

Gegen Ende wird das Set immer schöner und berührender, dem Middletown Blues folgt die herzerwärmende Ballade Could I've Been Wrong, auf der Norman seine stimmlichen Fähigkeiten voll ausspielt und das Xylophon das sanfte Gitarrenspiel auf das Wundervollste unterstützt. "I wanna thank you for all these years, I wanna thank you for all the fears, could I've been wrong", heißt es da, hach, schön!

Die traumhaften Lovesongs reihen sich nun wie auf einer Perlenkette auf, Everything You Need ist mit seinem Melodicasolo so melancholisch,
daß man ein Taschentuch gut gebrauchen könnte, wenn da nicht die witzige Videoprojektion wäre, auf der man Krokodile beim Liebesakt sieht. Auch Rent A Cat wartet mit einer prima Illustration auf, aber die erkläre ich jetzt nicht mehr ausführlich, weil ihr ja schließlich alle das hübsche Büchlein kaufen sollt! Auch Norman weist am Ende noch einmal darauf hin, daß am Merchandising Stand nette Damen das wunderbare Werk verkaufen. Man solle sich beeilen, es gäbe nur noch 12 Exemplare, weil mehr nicht in das Flugzeug gepasst hätten. Ein guter Kaufmann ist der Kerl also auch, aber ich hätte ohnehin so schnell wie möglich zugeschlagen, um die famosen Lieder auch noch bei mir zu Hause genießen zu können und dabei das Bilderbuch durchzublättern! Ein Stück des heutigen Abends fehlt aber darin, ich meine nicht das abschließende Long Way Home, bei dem der Berliner sogar wie Andrew Bird pfiff, sondern einen anderen Klassiker aus den 80 er Jahren: Girls Just Wanna Have Fun von Cyndi Lauper, präsentiert in schickem neuen Gewande! Mehr Folk weniger Disco.

Gut gemacht Norman, hast Deutschland wahrlich sehr würdig vertreten und die Finnen in Deinem Team sind eine echte Bereicherung! Wann kommst Du wieder nach Paris? Schließlich habe ich Dein dortiges Konzert im Motel leider verpasst! Weißt Du eigentlich, daß wir mit Künstlern, die wir sehr mögen , charmante Sessions in unserem Wohnzimmer veranstalten? Also wie sieht's aus??

In der Pause gab es dann die Gelegenheit zu einem kurzen Plausch mit Norman, der mir erzählte, daß ihn die französischen Darkrocker Nelson am Vortage nach Paris ins Motel geladen hätten. Wie klein die Welt doch ist, Nelson kenne ich natürlich auch, schließlich habe ich über die Jungs schon mehrfach hier berichtet und sie auch oft bei Konzerten als Zuschauer getroffen! Ich wußte, daß sie auch mal ein paar Monate in Berlin residierten und da haben sie wohl Norman Palm kennengelernt. Musik verbindet Nationen, das ist der Beweis!

Auch das Land Schweden lernt die übrige Welt größtenteils aufgrund der zahlreichen tollen Musiker kennen. Nachdem das schwedische Tennis zur Zeit etwas schwächelt, hören wir in Kontinentaleuropa inzwischen kaum noch etwas von Borg, Wilander und Edberg , sondern viel öfter Namen wie Loney Dear (auf dem Foto), Anna Ternheim, El Perro Del Mar, Jens Lekman, Pelle Carlberg, Peter Björn And John, The Sounds, Nina Kinert, Mando Diao, Jose Gonzales, Moneybrother, Were From Barcelona und so weiter und so fort...

Und natürlich fällt auch der Name Frida Hyvönen immer häufiger und die Artikel in der Musikpresse mehren sich, gerade nachdem im letzten Jahr, als das neue, zweite Album Silence Is Wild erschienen ist. Von Silence, also Ruhe, kann foglich keine Rede mehr sein, auch wenn nach wie vor intensiver über Anna Ternheim berichtet wird. Zur Headlinerin des heutigen zweiten Tages des Festivals Top Of The Folk hat es aber auf jeden Fall gereicht, auch wenn ihr Scheck mit Sicherheit weniger Nullen am Ende aufwies, als derjeniege von Björk bei Rock en Seine 2007. Aber es sollte den Artisten nicht in erster Linie um das große und schnelle Geld gehen, denn ansonsten laufen sie Gefahr, künstlerisch zu verflachen und abzustumpfen. Aus meiner Sicht ist es für Frida eine ganz tolle Sache, zusammen mit solch innovativen Newcomern wie Arch Woodman, f. hiro, La Terre Tremble!!! und Norman Palm aufzutreten und nicht bei irgendwelchen Mainstreamveranstaltungen neben Typen aus Castingshows. Aber Fräulein Hyvönen passt da schon auf, schließlich hat sie mit Secretly Canadian ja auch ein vorzügliches Indielabel, bei dem nicht nur ihr Landsmann Jens Lekman, sondern auch Jason Molina, Damien Jurado, Scout Niblett oder Bodies Of Water unter Vertrag sind. Vor aber natürlich Antony und seine Johnsons. Genau wie Antony, der inzwischen zum Weltstar aufgestiegen ist, spielt Frida Piano und teilt mit ihm auch die Vorliebe für die Oppulenz und die bitter-süße Ironie.

Frida hat aufgrund ihres Charismas, ihres Talents und ihrer attraktiven Erscheinung mit Sicherheit ebenfalls das Potential weltbekannt zu werden. Ihre Lieder sind auch massenkompatibel, ich sage das jetzt gar nicht abschätzig, denn es ist gar nicht so einfach, einen eingängigen Popsong zu schreiben, der zudem noch nicht dümmlich ist. Und gerade das schafft Frida Hyvönen: Sie schreibt Popsongs (Folk macht sie m.E. nicht), rund, ohrwurmig und süß wie Honig, aber dennoch nicht flach. Wie kriegt sie dieses Kunststück hin? Nun, vor allem dadurch, daß sie klasse Texte voller Witz, Ironie und Poesie schreibt. Der oberflächliche Hörer, der nicht genau hinhört und nur die schönen Melodien verfolgt, bekommt diese Facette von Frida gar nicht mit, merkt gar nicht wie die Schwedin mit einem bezaubernden Lächeln Vulgaritäten verbreitet und Seitenhiebe verteilt. Die unglaublich groß gewachsene Frau hat es faustdick hinter den hübschen Ohren und das ist auch gut so, sollen doch Unwissende sie für ein Mode- Püppchen ohne Tiefgang halten!

Aber das Publikum in Rennes schien mir sehr fachkundig und intelligent zu sein und begrüßte Frida und ihre beiden Mitmusikerinnen, die an Bass und Schlagzeug für den nötigen Dampf sorgten, mit viel warmherzigen Applaus.
Die Leute hier mochten sie, das merkte man. Das wiederum ist fast schon wieder erstaunlich, denn optisch verkörpert Hyvönen Vieles von dem, was man in Frankreich nicht so mag. Sie ist stets extravagant gekleidet, es blinkt und glitzert, wo man nur hinschaut und die 80 er Jahre- Fönfrisur habe ich auch bei modebewußten Französinnen eher selten gesehen. Aber ich glaube, gerade französische Frauen bewundern ihren Mut zur Oppulenz. Keine graue Maus, die bescheiden und dezent auftritt, sondern ein richtiges männermordendes Weibsbild, mit riesigen Schulterpolstern, hochhackigen Schuhen, roten Lippen und schwarzen Leggings. Wenn man sie so sieht, könnte man sie glatt für die Idealbesetzung in einem Streifen von Denver Clan in den 80ern halten. Vor meinem geistigen Auge sehe ich sie mit einem bauchigen Kristallglas mit Whiskey, den sie schon mittags runterkippt. Sagte ich gerade Whiskey? Ja, richtig, Whiskey! Eigentlich mag Frida das Gesöff nicht, aber heute brauchte sie den (und bekam ihn auch prompt ans Piano gebracht), da sie ein Problem mit ihren famosen Stimme hatte, mit der sie fast als Opernsängerin auftreten könnte. Es war circa. in der Mitte ihres bis dahin reibungslos verlaufenen Konzertes, als sich plötzlich ihre Stimmbänder verknoteten. Sie brach das Lied ab, trank einen Schluck Wasser, aber der lästige Kloß im Hals wollte nicht so schnell wieder verschwinden. Also brachte man ihr später einen Whiskey und siehe da: Das hochprozentige Zeug wirkte, ihre glockenklare Stimme wurde wieder geschmeidiger und sie sang wunderbar wie eh und je. Die zweite Hälfte des Sets bekam sie also einwandfrei hin, wobei auch ihre beiden Freundinnen kräftig mithalfen. Die Schlagzeugerin hatte trotz ihrer zierlichen Statur einen ganz schön kräftigen Bums und eine enorme Beschleunigung drauf und die Bassistin spielte nicht nur dieses Instrument einwandfrei, sondern auch einfühlsam und wunderschön Cello, z.b. bei My Cousin. Eine richtige Band war das also, die phasenweise ein Rockkonzert ablieferte, zu dem ich mich auch gerne etwas bewegt hätte, aber das ging in dem Kinosaal in Rennes leider nicht. Schade, gerade zu dem mitreißenden London mit seinen tollen Chorgesängen hätte ich gerne die Hüften geschwungen, genauso wie zu Djuna!, dem Hit vom ersten Album. Das Ende war dann aber eher verhalten und melancholisch. Und zynisch, wie der famose Text zu Dirty Dancing beweist, mit dem man sich wirklich mal einmal auseinandersetzen sollte, es lohnt sich! (Ha, ich nehme Euch nicht die Arbeit ab!) Oh Shanghai, ein Stück, das auch gut zu einem Musical passen könnte, beschloß dann das knapp einstündige Konzert, das mich nicht ganz so gepackt hatte, wie das vor ein paar Monaten in der Pariser Maroquinerie, aber dennoch gut und unterhaltsam war. Frida Hyvönen hat mit Sicherheit weder die Veranstalter noch die Zuschauer enttäuscht und ein junger Musiker (ugh! , er trat am nächsten Tag in einem Pub auf), mit dem ich mich im Bus zurück nach Rennes angeregt unterhielt, äußerte sich auch positiv: "Erstaunlich, daß ich das poppige Zeug mochte! Meine Lieblingsbands sind eigentlich eher Pavement und Sonic Youth"...

Setlist Frida Hyvönen, Festival Top Of The Folk, Rennes 2009:

01: Enemy Within
02: Birds
03: Pony
04: The Modern
05: December
06: Science
07: You Never Got Me Right
08: Highway 2 U
09: Djuna!
10: Come Another Night
11: London!
12: My Cousin
13: Dirty Dancing
14: Oh Shanghai
- Links:

- mehr Fotos von Frida Hyvönen hier
- mehr Fotos von Norman Palm hier
- charmante Videoclips von Norman Palm: Floating Around, Girls Just Wanna Have Fun

Konzerttermine von Norman Palm:

27.03.2009: Popo Bar, Berlin
24.07.2009: nbi, Berlin



1 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

Norman Palm habe ich mal irgendwann als Vorband irgendwo in Berlin gesehen, fand ihn aber langweilig...wahrscheinlich, weil er damals noch keinen Melodica/Glockenspielfinnen hatte :)

 

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