Montag, 22. Juni 2009

Maison Neuve & Yeti Lane, Paris, 21.06.09


Konzert: Maison Neuve & Yeti Lane (Fête de la musique)

Ort: Le Point Éphémère, Paris
Datum: 21.06.2009
Zuschauer: mittlere Raumauslastung
Konzertdauer: jeweils ca. 45 Minuten



Du schreibst über fanzösische Band auf deutsch? Und wer liest das?

Fast wollte ich meinem französischen Bekannten, der mir die Frage gestellt hatte, antworten: Keine Sau!, aber man soll sich ja nicht selbst fertigmachen und die Franzosen haben's verbal auch nicht so mit den Schweinen*, wie wir Deutschen. "Pas un cochon" kann man also nicht sagen, es gibt lediglich die Redewendung "Il n y avait pas un chat (=Katze), wenn man ausdrücken will, daß eine Veranstaltung schlecht besucht ist, aber das ist ja nicht das Gleiche. Außerdem: Wäre das wirklich zutreffend? Liest wirklich niemand in Deutschland Konzertberichte über französische Bands? Sicherlich bediene ich da eine Nische und wenn ich über die famosen Newcomer Revolver aus Paris schreibe, bleiben dort deutlich weniger Leser hängen, als bei Christoph, wenn er detailgenau schildert, wie das Hemd von Morrissey zerrissen wurde und wer schließlich den durchschwitzten Stofffetzen des Großmeisters ergattert hat.

Aber ich kann damit sehr gut leben und wenn ich auch nur ein paar Leser auf französische Pop-und Rockmusik aufmerksam machen kann, ist das schon großartig! Und ich kann es gar nicht oft genug sagen: Paris brennt, Paris is Burning! Nein, nein, ich rede nicht von dieser Ladyhawke da, ich rede von der musikalischen Indieszene, wo im Moment unglaublich viel Dynamik drin ist. Fast wöchentlich entdecke ich neue, spannende Acts, dabei war ich selbst am Anfang kritisch als ich nach Paris gezogen bin. Ich weiß nicht genau, welche Band diesen kreativen Boom ausgelöst hat, wer den Stein ins Rollen brachte. Fakt ist aber, daß sich in den quirligen Bars und Cafés einiges getan hat, daß munter geprobt, musiziert und komponiert wird und daß teilweise Erstaunliches zu Tage gefördert wird. Ich liebe Syd Matters, H-Burns Pollyanna, Herman Dune (Franzosen, keine Schweden!), Marie-Flore, The Rodeo, Faustine Seilman, My Name Is Nobody, Mina Tindle (auf dem Foto rechts zu sehen), Toy Fight, Orouni, Milk & Fruit Juice, Please Don't Blame Mexico, Coming Soon, Revolver, My Girlfriend Is Better Than Yours, Reza, Fairguson, Soy Un Caballo, Pokett, Domingo, Moriarty, Cocosuma, die Rum Tum Tiddles und viele viele andere mehr, aber bei den Vorgenannten handelt es sich fast ausschließlich um Gruppen und Künstler, die auf dem Gebiet Folk oder Pop glänzen und selten einmal laut werden.

Dabei gibt es auch im rockigeren und noisigeren Genre in Frankreich erstklassige Formationen. Ohne großartig zu überlegen, würde ich Kim Novak, Arch Woodman, John & Jehn, Underground Railroad, Electric Electric, Nelson, Stuck In The Sound, Hushpuppies (auf dem Foto), Papier Tigre, La Terre Tremble, Le Prince Miiaou, Kid Bombardos und Eldia nennen, aber sicherlich vergesse ich da schon wieder einige.

Ganz vorne anzusiedeln sind aber jene zwei Bands, die es heute anläßlich der Fête de la Musique gratis und im Dopelpack gab.

Zum einen Maison Neuve, deren hocheleganter Sänger und Gitarrist aus dem Südwesten Frankreichs stammt und zum andern Yeti Lane, der Nachfolgeband der großartigen Cyann & Ben, die sich umbenannt haben, nachdem die Sängerin Cyann ausgestiegen ist.

Als Maison Neuve loslegten, war im Inneren des Point FMR nicht allzuviel los. Das lag aber vornehmlich daran, daß etliche Leute es vorzogen, auf den glitzernden Canal St. Martin zu schauen und sich draußen aufzuhalten, wo laute Musik vom Band dröhnte. Es war halt eben Fete de la Musique angesagt, ein riesiges Fest, bei dem die Musik in allen möglichen Formen zelebriert wird. In der ganzen großen Stadt gab es massenweise Konzerte, jedes Viertel wurde beschallt und vor dem Chateau De Vincennes trat sogar die Schweizerin Sophie Hunger auf (und Paolo Nutini, der den verhinderten Peter Doherty ersetzte, aber diese Geschichte ist zu ärgerlich, um näher darauf einzugehen...) Ich war überzeugt davon, am richtigen Ort zu sein und bekam auch schon nach ein paar Liedern die Bestätigung geliefert. Genau, hier spielte die Musik! Maison Neuve sind die Geilsten! Mit dem Indiehit Wrong Classes knipsten sie bei mir gleich zu Beginn alle Lampen aus. Ich war wie angefixt von dieser stimmungsvollen Nummer, wurde von den melodischen Dingel Dengel Gitarren wie auf Flügeln getragen und sang aus voller Kehle den Singalong-Refrain mit: Ohohohoh...

Wonach klang das? Etwa nach Folk- und Hippiegrößen wie Creedence Clearwater Revival oder Duncan Browne, die auf der MySpace Seite als Referenzen genannt werden? - Nicht die Spur, vielmehr wurden wohlige Erinnerungen an Joy Division, New Order und The Smith wach. Sagenhaft! Franzosen kriegen das viel besser hin als englische Nachahmer wie die White Lies oder Glasvegas! Und nicht wenige behaupteten (völlig zu Recht), das Maison Neuve vor ein paar Wochen die umjubelten Pains Of Being Pure A Heart im Batofar glatt an die Wand gespielt hatten. Und heute setzten die Burschen sogar noch eine Schippe drauf, waren noch tighter, noch mitreißender, noch packender! Schade, daß die Lieder auf der MySpace Seite nur sehr bedingt vermitteln können, wie unglaublich stark die Frenchies heute waren. Sie haben mich schwindelig gerockt, in völlige Ekstase versetzt und mein Urteilsvermögen benebelt. "Ihr seit die beste Welt der Welt!", war ich mehrfach geneigt reinzurufen, aber dann hätten sie vielleicht einen Sanitäter bestellt und gesagt: "Helft bitte mal diesem Deutschen da, dem geht es nicht gut!", denn die Jungs sind herrlich bescheiden geblieben, trotz des immer stärker werdenden Medieninteresses (ich rede jetzt hier natürlich von Fachpostillen und gut informierten Blogs, nicht von Mainstreampublikationen).

Aber Maison Neuve haben nun einmal jede Menge Hits zu bieten. Victor, mit seinem markanten Basslauf zu Beginn ist schon fast ein moderner Klassiker, das Buil To Spill angehauchte Under Skies Of Fire ist auch ganz vorzüglich und das französiche Coloré Par Le Soir hätte ich gerne auf meinem I-pod, es ist aber bisher unveröffentlicht. Wer sich ein wenig mit der Diskografie des Quartetts beschäftigen möchte, der besuche bitte die MySpace Seite des verantwortlichen Labels Sauvage Records, bei dem auch andere glänzende Acts wie Mina Tindle oder Please Don't Blame Mexico ein gemütliches zu Hause gefunden haben.

Setlist Maison Neuve, Point FMR, Paris:

01: You Are My Death
02: I Read, You Count
03: Au Large De La Ville
04: The Wrong Class
05: Victor
06: In The Branches
07: Love Favela
08: Under Skies Of Fire
09: Coloré Par Le Soir
10: Touched In The Heart
11: Lizzy

In der Pause konnte man sich am Canal St. Martin ein wenig erfrischen, mit Freunden plaudern oder die Frau oder den Mann für's Leben kennenlernen. Oder so. Praktisch, daß ich mein Frauchen schon gefunden habe und unter der Haube bin, so konnte ich mich ganz auf die Musik konzentrieren. Einen Kurs mit dem Slogan: "So kriegst Du jede rum", zu belegen wäre auch nichts für mich. Diejenigen, die gerade einen solchen Kurs absolvieren, hätten allerdings Gelegenheit gehabt, ihre frischerworbenen Kenntnisse praktisch anzuwenden, denn der Flirtfaktor (eigentlich ein scheußlicher Ausdruck!) war heute abend in dieser Gegend enorm hoch.

Zurück zur Musik. Die spielte zwar auch draußen, denn bei der Fête de la Musique dröhnt immer igendwo Musik aus irgendwelchen Boxen, aber drinnen war sie sicherlich besser. Das rein männliche Trio Yeti Lane hatte bereits losgelegt und inzwischen war es im Saal auch recht voll geworden.

Die Band besteht aus Charlie (Drums, Percussions, etc.), Loac (Gitarre, Keyboard) und dem Gitarristen Ben, der auch festes Mitglied von Herman Dune ist. Damals als die Sängerin Cyann noch dabei war, nannten sie sich Cyann & Ben, waren sensationell gut und veröffentlichten mehrere Alben, die auch in der britischen Presse beste Kritiken bekamen. Heute fehlt die Frau, aber die drei Männer sind immer noch sensationell gut und auch der Stil hat sich nicht großartig geändert. Melodisch - melancholischer Indierock ist angesagt, bei dem es auch post-und krautrockige Ansätze gibt. Ihre Stücke sind nach wie vor komplex aufgebaut, entwickeln sich teilweise recht schleppend, um gegen Ende förmlich zu explodieren und offenbaren ihre wahren Qulitäten oft erst nach mehrmaligem Hören. Kaum einem Album "Made in France" fiebere ich mehr entgegen, als dem ersten Album von Yeti Lane, das im September erscheinen soll. Bisher gab es lediglich eine Singelauskopplung des süchtig machenden Überhits A Lonesome George (ein Hammer erster Güte!) und den Hörgenuß des düsteren und psychedelischen Schockers Twice auf der MySpace Seite. Überflüssig zu erwähnen, daß A Lonesome George und Twice auch heute live die großen Abräumer waren. Aber ich bin sicher, daß sich auf dem Album noch mehrere Perlen finden werden. Großartig!

Und was höre ich sonst so? Natürlich auch Musik aus England, Schweden und den USA! Was mein momentan heißester Tip ist? Fredo Viola aus New York! Ich ärgere mich schwarz, daß ich den Mann mit der wunderbar pastoralen Stimme live in Paris verpasst habe. Sein Debütalbum The Turn sollte nicht nur die Fans der Fleet Foxes begeistern.Denkt an meine Worte, wenn ihr igendwann im Rolling Stone oder Musikexpress von Fredo Viola lest! Auf dem Konzerttagebuch wird man halt eben umfassend und nicht nur über tolle französische Bands wie Maison Neuve oder Yeti Lane informiert!

Setlist Yeti Lane, Point FMR, Paris (Merci à Sylvain!):

01: ?
02: Only One Look
03: First Rate Pretender
04: Black Soul
05: This Day
06: Think It's Done
07: Neu
08: Twice
09: A Lonesome George
10: Walk Around Sins

11: Architecture (Z)

* in Zeiten der schweinischen Grippe ja auch gar nicht so unvorteilhaft.

Video: Twice von Yeti Lane live. Gefilmt von Ludomatic; Only One Look live
- Maison Neuve- The Wrong Class live @ la Flèche d'or, Paris, Victor live

Pour nos lecteurs français:

Une chronique de ce concert en français va suivre très prochainement...




1 Kommentare :

E. hat gesagt…

den wenigen aber, die deine berichte lesen, geben sie mittlerweile eine vertrautheit, ein bild von einer stadt, die sich warm und hintergründig zeigt, wie man es dieser metropole vielleicht nicht zugetraut hätte. du zeichnest ein stadtportrait, eine momentaufnahme, wie sie ein stadtschreiber kaum besser hinbekommen könnte. eigentlich wäre es dringend notwendig, deine ebrichte zu archivieren. blogger wird es irgendwann nicht mehr geben und all dein tun wird sich in den datenspeichern von irgendwem verlieren. bitter?

 

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