Donnerstag, 24. Juni 2010

Clinic & Anna Calvi & Chief, Paris, 22.06.10


Konzert: Clinic & Anna Calvi & Chief (Soirée Custom du label Domino)

Ort: Le Nouveau Casino Paris
Datum: 22.06.10
Zuschauer: nicht ganz ausverkauft


Fußball interessiert mich bekanntlich nicht, ich habe von der WM noch kein einziges Spiel gesehen. Stattdessen war ich gestern als Deutschland gegen Ghana lief im Nouveau Casino. Wie die Bands sich geschlagen haben, berichte ich in Kürze...

Achso: Auf der Rückfahrt mit der Metro habe ich das Ergebnis des Soccer Matches erfahren. Drei Deutsche unterhielten sich lautstark (einer davon in diesem häßlichen weißen Trikot mit den schwarzen Streifen und den Bundesfarben) und sagten, daß es nun gegen England gehe. 1 Minute später stieg ein anderer Deutscher hinzu, bekam die Unterhaltung mit und fragte wie das Match ausgegangen sei: 1:0. Aha. Wieviel Säcke Reis sind gestern in China umgefallen?

Kommen wir zum Konzertbericht:

Bands, die Masken tragen sind ja grundsätzlich schon mal etwas Gruseliges. Slipknot, Lordi, Kiss, jeder kennt sie, diese vermummten Ekelmetaller. Bloß ihre Gesichter bekommt kaum jemand zu sehen. Auch Clinic aus Liverpool verbergen ihre Antlitze und so ist sichergestellt, daß man sie nach dem Konzert in Ruhe lässt. Trotzdem habe ich hinterher sofort den Sänger wiedererkannt, als er "oben ohne" vor der Tür des Pariser Nouveau Casino kauerte und darauf wartete, daß der Tourbus sie aus der Gegend wegfährt. Seine stechend blauen Augen verrieten ihn, denn diese konnte ich durch die Schlitze der Chirurgenmaske während des Gigs ganz genau sehen. Irgendwie traurig wirkten sie und auch recht müde. Augen eines Mannes, der vom Leben recht enttäuscht und desillusioniert ist. Zu der pechschwarzen, fast suizidalen Musik von Clinic passte das wie ein Handschuh. Ein faszinierendes Gemisch aus messerscharfen Basslinien, treibenden Drums und Vintagekeyboards -und Melodicas hatten sie vorher zu einer dunklen Masse angerührt, über die Sänger Ade Blackburn mit seiner spitzen, durch Mark und Bein gehenden Selbstmörderstimme drübersang. Antiseptisch kühl das Auftreten der Chirurgen, die so gut wie nie etwas sagten und stattdessen ihre düsteren Songs operieren ließen. Manchmal wirkte das, als würden sadistische Chefärzte zusammen mit etwa 200 Pariser Indiefans eine gothische Messe feiern. Schaurig schön, besonders die Melodicaparts. Bewegung gab es indessen nicht besonders viel, weder auf noch vor der Bühne. Die erste Hälfte des Sets bestand aus eher langsamen bis mittelschnellen Nummern, die die Liverpooler statisch und fast regungslos vortrugen. Gegen Ende aber wurde das Tempo massiv beschleunigt. Alle fetzigen Titel hatten sich Clinic für das Ende aufgehoben und entsprechend fulminant ging es nun zur Sache! Shopping Bag donnerte mit 320 Sachen durch das Nouveau Casino, wobei die Hand des Sänger und Gitarristen mit einem mörderischen Tempo über die Saiten flog. Was für ein Killersong! Das muss man schon Roland von Interpol zitieren, um einen ähnlich guten Post-Punk Revival Hit aufzubieten. Die Meute hatte jetzt Blut geleckt und der bisher statische Haufen bewegte sich nun immer wilder im Takt. Besonders in der Mitte des Raumes gab es einen Pulk, der anfing, Pogo zu tanzen, meine gute Freundin Marie mittendrin. Clinic gaben Vollgas und nahmen den Fuß nicht mehr von der Pedale. Ein Schlußfinish der besonderen Art! Auch die beiden Zugaben hatten es in sich. Children Of Kellog begeisterte mich auf ganzer Linie. Alles daran war toll, die Gitarren, das Vintage- Keyboard, der Rhythmus, die Melodica und der Tempowechsel am Ende, als das Lied nach hektischem Beginn sanft und melancholisch ausklang. Monkey On Your Back setzte den endgültigen Schlusspunkt unter ein beeindruckendes Konzert, das erstaunlich vielseitig und abwechslungsreich und qualitativ 100 mal besser war, als der vom auf den ersten Blick ähnlich gelagerte Kram, den die Kommerzpunker Placebo abliefern.

Zuvor wußten auch die beiden Supportacts zu überzeugen. Chief sagte mir vorher dem Namen nach gar nix, entpuppte sich aber als ein äußert feiner Folkact im Stile der Fleet Foxes. Zwei langharige Burschen, die lediglich mit ihren Gitarren (eine elektrische, eine akustische) angetreten waren, entzückten durch wunderbaren Harmoniegesang, hübsche Melodien und ein zeitloses Songwriting. Nichts grundlegend Neues, aber so harmonisch arrangiert, daß die halbe Stunde wie im Fluge verging. Mit Chief muss ich mich nun einmal näher beschäftigen, sie spielen dieses Jahr auf den wichtigsten Festivals (Glasto, Lattitude...). Und dann sicherlich mit der kompletten Band und nicht akkustisch und als Duo wie heute.

Auch die hübsche Blondine Anna Calvi ist auf dem aufsteigenden Ast. Zusammen mit einer Harmoniumspielerin und einem Drummer bot sie einen geheimnisumwobenen Indierock, irgendwo zwischen PJ Harvey, Siouxsie and The Banshees und den Howling Bells. Das schick gekleidete Mädel hatte Klasse und Temperament, in vielen Szenen riß sie ihre Gitarre steil in die Höhe und schrie dazu aus voller Kehle. Eine schöne, sehr sinnliche Stimme, abwechslunsgreiche Lieder und viel Charisma, da könnte karrieretechnisch was gehen! Die Frau muss man auf jeden Fall im Auge behalten!

Insgesamt ein richtig guter Konzertabend, den die Labelleute von Domino France da veranstaltet haben. Wann gibt es den nächsten? Und wie stehen die Chancen der Bundeskicker gegen England? Nicht, daß das wichtig wäre, aber Expertenmeinungen hätte ich schon einmal gerne gehört, wenn hier schon keiner mehr meine Konzertberichte kommentiert...

Setlist Clinic, Le Nouveau Casino, Paris:

01: Bubblegum
02: Gentle Lady
03: I'm Aware
04: Welcome
05: Baby
06: Memories
07: Linda
08: Forever
09: Harvest (Within You)
10: Lion Tamer
11: I.P.C. Subeditors Dictate Our Youth
12: Freemason
13: Milk & Honey
14: Shopping Bag
15: Evelyn
16: Saffire

17: Children Of Kellog
18: Monkey On Your Bag



 

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