Montag, 10. Oktober 2011

British Sea Power, Paris, 08.10.11


Konzert: British Sea Power
Ort: Le Nouveau Casino, Paris
Datum: 08.10.2011
Zuschauer: nicht ausverkauft, etwa 200
Konzertdauer: etwa 80 Minuten


Der berühmte und leider kürzlich aus Motivationsgründen zurückgetretene Musikblogger Nicorola hat als Begründung für sein Aufhören unter anderem gesagt: "Ich habe keine Lust mehr, bereits beim Ansehen eines Konzertes eine Review im Kopf zu schreiben."

Er spricht damit ein interessantes Thema an. In der Tat ist es auch bei mir so, daß ich bereits während des Konzertes Notizen in meiner Matschbirne mache und mir schon überlege, wie ich den Bericht später formulieren werde. Nicht immer kommt alles ganz ungefiltert aufs Papier, denn zu Hause angekommen, wägt man dann doch oft noch das Für und Wider ab, entschärft seine Sprache und versucht auch rationale Argumente mit einfließen zu lassen.

Aber ich will euch gar nicht vorenthalten, was mir alles beim Konzert von British Sea Power im Pariser Casino stichwortartig durch den Kopf schoss:

- ekelhafter Bombast
- fetter Gitarren-Breitwandsound
- angehende Stadionband
- seicht und pseudoromantisch
- total von den Psychedlic Fours abgekupfert
- Interpol light
- Coldplay mit anderen Mitteln
- von euch lasse ich mich nicht einlullen!
- Ihr Arschkriecher ihr!

So ging das mindestens eine halbe Stunde lang. Ich zeriss das Konzert vor meinem geistigen Auge in der Luft und freute mich fast schon diebisch auf die Abreibung, die ich der Band verbal erteilen würde. Hey, das würde ein Spaß werden!

Dann aber drehte sich plötzlich das Blatt. Ich beobachtete Zuschauer im Publikum, die völlig ausrasteten und fragte mich, warum ich eigentlich so griesgrämig in der Gegend rumstand. Wenn ich ehrlich war, gefiel mir dieser Post Punk Revival Sound eigentlich verdammt gut. Ist sowieso eine meiner bevorzugten Stilrichtigungen. Ich bin mit The Cure groß geworden, mochte auch immer Echo & The Bunnymen, The Chameleons und die Psychedelic Furs und bin heutzutage Fan von Interpol und Arcade Fire. An all diese Bands erinnerten mich die British Sea Powerler. Am Anfang störte mich das gewaltig, weil ich neben Interpol eigentlich sehr wenige Bands innerhalb des Post Punk Revivals gelten lasse. White Lies?: Scheiße! Glasvegas?: Der letzte schwülstige Dreck! Editors?: Käse! The Boxer Rebellion?: Nicht gut! The Cinematics? Mist! Belasco: Nix für mich! Broken Records?: zu viel Bombast. Diego?: Klone.

Die Frage war also: wolle mer se reinlasse? Reinlassen in den exklsuiven Club von zeitgenössischen Melancholierockern, die ich mag. Interpol hatte ich genannt, aber auch The Twilight Sad, I Liketrains und die Franzosen Kim Novak sagen mir sehr zu. Daneben ist aber nicht mehr viel Platz.

Gegen Ende des Konzertes wurde aber ganz deutlich, daß British Sea Power in meinen Club gehören. Sie sind einfach wahnsinnig elegant, spielten unfassbar tight und druckvoll auf und begeisterten auch mit filigraner Instrumentierung mittels Geige und Horn. Und dann war da natürlich auch noch die Stimme von Scott Wilkinson. Er verfügt über ein brüchiges, nahegehendes Organ, das starke Ähnlichkeiten zu Richard Butler von den Psychedelic Furs und natürlich zu David Bowie aufweist und sehr markant ist. Auch sein Bruder sang ein paar Songs, hielt sich aber ansonsten dezent zurück.

Die Band selbst sprach von ihrem besten Paris Konzert ever und bestätigte diese Aussage sehr eindrucksvoll mit einem fulminanten Zugabenteil. Nun gab es wirklich kein Halten mehr. Einer der Musiker kletterte ins Publikum runter und spielte zwischen den begeisterten Fans, während Wilkison oben stimmlich Vollgas gab. Hochmelodische Gitarren erfüllten das Rund und der Drummer peitschte von hinten an, das es eine helle Freude war. Die Geige und das Horn sorgten für die melancholischen Momente. Manche Leute rasteten förmlich aus, ein Kerl neben mir hatte spastische Anfälle, klatschte wie im Rausch in die Hände, rieß seinen Mund sperrangelweit auf. Mein Herz raste nun, ich erlebte ein Finish wie ich es in diesem Jahr selten bis nie gesehen habe. Der Uralthit Rember Me kam perfekt schrammelig und mit 300 Sachen rüber, Spirit Of Saint Louis trug den auf morbide Weise anziehenden Spirit von Joy Division in sich und Waving Flags war zwar bombastisch wie Sau, aber nichtdestotrotz unwiderstehlich. Das heroische und von der himmlischen Geige durchzogene The Great Skua markierte schließlich das Ende eines berauschenden Konzertes, das mich zum Fan von British Sea Power werden ließ.

Lebensverändernd! Yeah, baby!!!


Setlist British Sea Power, Nouveau Casino, Paris:

01: Who's In Control
02: Oh Larsen B
03: We Are Sound
04: Mongk
05: No Lucifer
06: Lights Out For Darker Skies
07: North Hanging Rock
08: Living Is So Easy
09: Baby
10: Observes The Skies
11: Bear
12: Carrion
13: All In It

14: Remember Me
15: Spirit Of St Louis
16: Waving Flags
17: The Great Skua


Konzertdaten British Sea Power:

09.10.2011: Luxor, Köln
10.10.2011: Lido, Berlin
11.10.2011: 59:1, München
12.10.2011: abart, Zürich

Aus unserem Archiv:

British Sea Power, Köln, 22.02.08








3 Kommentare :

nicorola hat gesagt…

Genau so wie du habe ich auch oft gedacht: die muss ich in der Luft zerreissen! Ist das Scheiße! Was finden die Anderen eigentlich so toll? Zuhause, wenn das Klingen in den Ohren nachlässt, wird man allerdings milder und merkt, das der Auftritt jetzt doch nicht so schlecht war. Und dann ärgert man sich darüber, das man sich nicht mehr auf das Liveerlebnis eingelassen hat.

Ich habe BSP gestern in Berlin gesehen und war begeistert. Ich habe zwar nicht getanzt, aber mittelschwer gezuckt und gewippt und fast die ganze Zeit gegrinst. Tolle Band!

Oliver Peel hat gesagt…

Nico, was für eine Ehre, dich hier als Kommentator begrüßen zu dürfen! Hoffe, dir geht es gut!

Nach dem Pariser Konzert von BSP hatte ich enorme Lust, die Band nach Köln und Berlin zu begleiten. Leider ging das nicht. Gut zu erfahren, daß sie auch in Berlin begeistern konnten.

Alles Gute, Nico!

E. hat gesagt…

skepsis.

 

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