Dienstag, 18. September 2012

New Order, Fête de l'Humanité bei Paris,



Konzert: New Order

Ort: Parc Departemental de la Courneuve bei Paris, Fête de l'Humanité 2012
Datum: 14.09.2012
Zuschauer: 80 Tausend oder so
Konzertdauer: knapp 75 Minuten




Ich bei einer Kommunisten-Fete, was mein Vater wohl dazu gesagt hätte? Hätte er mir die Leviten gelesen? Ach, wahrscheinlich wäre er mitgekommen,um New Order zu sehen. Für Überraschungen war er ja immer gut, der alte Abenteurer! Damals ist er ja schließlich auch mit mir zu David Bowie am Nürburgring gefahren. Er wollte immer wissen, wie die Jugend so tickt.


Im Jahre 2012 bin ich selbst kein Jugendlicher mehr. 41 Jahre habe ich auf dem Buckel und fühle mich neben den ganzen jungen Leuten auf der Fête de l'Huma noch mal 10 Jahre älter. Manche sind höchstens 20 und waren in den 1980er Jahren als New Order ihre aktivste Zeit hatten, noch nicht mal geboren.Ich hingegen habe damals alles genau mitbekommen, war 16 als die fabelhafte Single True Faith 1987 die Charts stürmte. Ich war süchtig nach dem Track und immer total begeistert, wenn der Videoclip bei der Musiksendung "Formel eins" lief. Zwei Männer die sich abwechselnd ohrfeigen, rumhüpfende bunte Puppen, das blieb für immer im Gedächtnis hängen. Cool insofern, daß man das kultige Video heute auch noch einmal auf der großen Leinwand zu sehen bekam und wohlig in Erinnerungen schwelgen konnte.


Aber die Anreise zur Fete de l'Huma war alles andere als angenehm. Wer steht schon gerne Schlange in einer Gruppe junger, ungepflegter, schwitzender und Kette rauchender Jugendlicher, die genau wie ich auf den Bus zum extrem weitläufigen Gelände warteten? Wer kriegt gerne von einem dieser Typen mit verklebten Rastazöpfen den Rucksack in die Fresse geballert? Den Rauch aus den selbtgedrehten Zigaretten in die Nase geblasen? Wer fand zelten eigentlich schon immer scheiße? Richtig, ich! Ich musste schon all meine Geduld und Nevernstärke aufbieten, um die elend lange dauernde Anreise mit diesen ganzen Chaoten zu überstehen. Zum Glück sangen sie nicht wie auf der Rückfahrt, dafür waren sie noch zu nüchtern. Ihre Ausdünstungen und ihren schlechten Atem bekam ich aber schon jetzt zu riechen.


Irgendwann aber bog der verfluchte Bus in das Gelände des Parc Departemental von La Courneuve ein und ließ uns aussteigen. Jetzt war latschen angesagt. Wahrscheinlich gibt es nur in Rio de Janeiro ein Stadion ähnlichen Ausmaßes. Der Weg zur Hauptbühne war so lang, daß man gut und gerne ein Fahrrad gebraucht hätte. Überall stapelte sich der Müll und mein Weg führte an allen möglichen regionalen Ständen der französischen kommunistischen Partei vorbei.


Ich überlegte kurz, ob für mich auch ein Leben im Kommunismus in Frage käme. Was wenn es einen modern Kommunismus gäbe? So mit iphone, Highspeed-Internetanschluß, Mac Computer und Flachbildschirmfernseher als soziale Grundausstattung für jeden? Mit kostenlosem Arztbesuch, Viagra und Prozac gratis und einer ordentlichen Wohnung? Bezahlen würden das Ganze "das eine Prozent", alo jener Teil der Bevölkerung, der laut Occupy 99 Prozent des Reichtums besitzt. Alle anderen müssten nicht arbeiten.Und natürlich müsste es Champagner geben und auch Foie Gras, also Entenstopfleber. So also dachte ich in meinem wirren Kopf, als ich plötzlich an einem Schild vorbeiging, auf dem als Hauptspeise tatsächlich foie gras feilgeboten wurde. Und 10 Minuten weiter sah ich Leute mit einer Flasche Champagner auf dem Tisch. Diese kostete nur 20 Euro, das erfuhr ich später auf der Getränkekarte. Ich fand das alles genial und beschloss, Frankreich nie mehr zu verlassen. Falls der Kommunisums zurückkäme, könnte ich wenigstens schlemmen wie Gott in Frankreich. Und Prozac, so befand ich weiter, würde es sicherlich auch noch ausreichend geben, schließlich sind die Franzosen die weltweit größten Konsumenten von Antidepressiva. Und von Hasch, was ich etwas später wieder live und in Farbe miterleben konnte. Da roch es nämlich permanent unwahrscheinlich süßlich um mich herum...


Aber süßliche Dämpfe hin oder her, ich versuchte ab 22 Uhr alles um mich herum auszublenden und mich nur auf das Konzert von New Order zu konzentrieren. Nie hatte ich diese stilprägende Band live gesehen, obwohl ich bereits einige ihre Lieder von Originalmitgliedern hören durfte. Barney Sumner hatte Ende 2009 mit dem Nachfolgeprojekt Bad Lieutenant in meiner Anwesenheit akustisch Bizarre Love Triangle dargeboten und am gleichen Abend beim Konzert im Olympia auch Kracher wie Crystal und Ceremony rausgeschossen. Seinen ehemaligen Bassisten und heutigen Erzfeind Peter Hook wiederum hatte ich zusammen mit den alten Factory Records Legenden Section 25 gesehen und bekam ebenfalls Ceremony, dann noch Temptation und die beiden Uraltsongs vom ersten New Order Album Doubts Even Here und Dreams Never End geboten. Zusätzlich gab es Love Will Tear Us Apart von Joy Division.


Fünf Lieder des heutigen Sets (Crystal, Ceremony, Love Bizarre Triangle, Temptation und Love Will Tear Us Appart hatte ich also schon einmal entweder von Barney oder von Hooky live gehört, aber neben diesen Krachern gab es eben noch 7 Stücke zusätzlich, wenngleich Hooky heuer schmerzlich fehlte.


Dafür war natürlich erneut die Keyboarderin Gillian Gilbert dabei, die man damals angeblich eingestellt hatte, weil sie nicht spielen und somit keine Machtposition innerhalb der Band gewinnen konnte.


Fantastische Videos begleiteten jeden der Songs und sorgten auch für die passende visuelle Untermalung. Der auditive Teil ließ allerdings besonders zu Beginn zu wünschen übrig. Der Sound war nicht perfekt abgemischt, erschien zu leise und zu dumpf und die eh schon recht dünne Stimme von Barney Sumner war bei den ersten drei Liedern kaum zu hören. So war dann auch das früh gebrachte Crystal nicht das erwartete Highlight und der morbide Joy Division Klassiker Isolation ging sogar ziemlich in die Hose. Das deprimierende und perfekt auf die Stimme von Ian Curtis zugeschnittene Stück passte nicht zu New Order, man hätte eher einen anderen Song der Vorgängerband covern sollen.


Aber im Laufe des Sets wurde alles kontinuierlich besser. Der Sound kam etwa zur Mitte hin deutlich differenzierter ausbalanciert aus den Boxen, Sumner sang lauter und kraftvoller und Stücke wie Love Bizarre Triangle (herrlich wie Sumner das Wort "knees" in einer Songzeile krächzte!) und auch das eher unbekannte 586 zogen sehr ordentlich. Bei True Faith und vor allem Blue Monday gab es im Publikum dann kein Halten mehr. Die Stimmung war wild und aufgedreht und obwohl ich um die Gesundheit meines Fotoapparates fürchtete, gefiel mir diese Extase und dieser jugendliche Übermut der Zuschauer. Die junge Generation schien in ihrem Leben nichts anders als die Altherrenband New Order gehört zu haben, jedenfalls amüsierten sie sich wie Bolle. Das bewies wieder einmal, wie weit die Musiker aus Manchester damals ihrer Zeit voraus waren, wie modern ihr Sound war und ist. Zwar tragen die alten Studioversionen der Alben das Parfum der Synthesizer der 80 er Jahre, live aber wurden die Sachen in neuem, zeitgemäßen Gewande präsentiert.


Gut eine Stunde lang unterhielten Barney und co. die Menschenmenge hervorragend und ernteten dann auch für die gelungene Show den verdienten Beifall. Das schien Sumner derart zu befügeln, daß er -obwohl er eigentlich schon fast in der Kabine war-, noch einmal in die Mitte zum Mikro lief und auf französisch sagte: "merci beaucoup, je parle un petit peu français"


Es dauerte schließlich fast 10 Minuten bevor die Künstler noch einmal für eine Zugabe zurückkamen. Bernhard Sumner verkündet ganz trocken: "so, this ia a pretty good song", bevor Love Will Tear Us Apart aus den Boxen drang. Auf der Leinwand konnte man in schwarz-weiß einen apathischen Ian Curtis mit seinem schwarzen Trench Coat sehen, später dann eine Nahaufnahme mit dämonischem Gesichtsausdruck und vor allem einen Schriftzug auf dem in weißen Lettern stand: "Forever Joy Division." Mein altes Fanherz hüpfte im Kreis, euphorische Hitzewallungen und melancholische Niedergeschlagenheit wechselten sich in schneller Folge ab. Obwohl die Version super und sehr fetzig war, musste ich am Ende vor allem an meinen Vater denken. Nicht wegen der Teilnahme an der kommunistischen Fete, sondern wegen einer Parallele zu Ian Curtis.


Aber machen wir es an dieser Stelle nicht zu kitschig und zu nostalgisch. Das Konzert von New Order bei der Fête de L'Huma war nämlich vor allem eines: ein großer Spaß!

Setlist New Order, Fête de L'Huma 2012, La Courneuve:

01: Elegia
02: Crystal
03: Regret
04: Isolation (Joy Division)
05: Ceremony
06: Love Bizarre Triangle
07: True Faith
08: 586
09: The Perfect Kiss
10: Blue Monday
11: Temptation

12: Love Will Tear Us Apart (Joy Division)



 

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