Dienstag, 9. Oktober 2012

Waves Vienna Tag eins, Wien, 04.10.12

Waves Festival
Ort: verschiedene Locations am Donaukanal
Datum: 04.10.12
Zuschauer: viele und angenehme


Das Ende der Suche nach einem neuen Synonym für mörderdichtes Programm und dennoch entspannter Stimmung hat einen Namen: Waves Festival. Nach einem teilweise durchwachsenen Start letztes Jahr ist der erste Tag der heurigen Ausgabe hervorragend gelaufen. Viele Leute, gutes Wetter und prächtig gelaunte Bands haben dafür gesorgt, dass ich mich richtig ärgere, an den beiden anderen Tagen nicht dabei sein zu können.



Der - jedenfalls für mich - beste Tag der drei Festivaltage war jedoch die beste Entschädigung. Ein Eis in der Hand den Donaukanal entlang zum Clubschiff geschlendert, dort das Ticket eingetauscht, einen gratis Kaffee abgestaubt und solcherart endorphin- und koffeingeladen ab zum Brandwagen am Praterstern. Dort sollten Dust Covered Carpet spielen, eine hervorragende Wiener Truppe mit Hang zu hochmelodiösen Songwriting/Folk.
Der Brandwagen wiederum ist ein von einem Getränkehersteller umgebautes ehemaliges Feuerwehrfahrzeug, das zur mobilen Bühne wird. Und so konnten sich Passanten am belebten Platz des unerwarteten Anblicks einer Band auf einem Auto erfreuen, Schlagzeuger und Bassist nämlich sogar am Dach. Guitarstring marked fingerprints eröffnete das Set, etwa 100 Leute tummelten sich auf dem Gelände vor der ausgefallenen Bühne. Allerdings wurden es konstant mehr und auch die Besucher der "Wiener Wiesn" (über solche Festivitäten und deren Relevanz für Wien hüllen wir mal elegant den Mantel des Schweigens) bereicherten mit ihren Dirndl und ihrer Tracht den Anblick zumindest optisch.

Hautattraktion blieb jedoch weiterhin die Musik des Vierergespanns, die einen - ihrem Namen entsprechend - hübschen Klangteppich über dem Praterstern ausbreiteten, in dem die Hauptstimmte häufig wechselte. Cello, Gitarre, Trompete... es fehlte an nichts. Nicht an "Hits" wie Because gravity overpowers me, an Tanzeinlagen von Sänger Volker mit einer Kugellampe und an Zugaben auch nicht. Was aber keineswegs selbstverständlich war, denn "wir haben nur begrenzt Zeit, die Wiesn hat sich beschwert."
"Scheiß auf die Wiesn", stellte ein älterer Herr am Rand der Bühne, der sichtlich begeistert vom Set war, fest. Ein Kenner! Und ein vollkommen berechtigter Einwand.
Zwei Songs gingen sich dann für Dust Covered Carpet noch aus, die Ankündigung, spontan noch irgendwo (place to be announced) Merch zu verkaufen, hielt in weiterer Folge einen Security auf Trab: Eine durch einen fetten Spalt im Holz sehr mitgenommen wirkende Bierbank (vielleicht gar vom Nachbarfest?) wurde hastig mit Mineralwasser und einer Küchenrolle gesäubert und an den Rand des Zauns gestellt. Erster Gast an diesem Stand war dann ein Ex-Bandmitglied, das zu dem Auftritt gratulierte. Wahrlich ein sehr schöner Start ins Waves, vor allem die Kulisse war höchst stimmig: an einem belebten, bisweilen etwas verrufenen Ort aktuelle Kunst vor bunt durchgemischtem und interessierten Publikum zu bieten, das dürfte (neben einigen anderen Motiven) die Idee hinter dem Festival sein.

Eine zweite des Absicht des Waves: die Szenen der jeweiligen Gastländer zu präsentieren und dabei unbekannte Bands auftreten zu lassen. Also ab ins Café Dogenhof, ein - dem Äußeren nach - klassisches Wiener Kaffeehaus mit hoher Decke, Stuckverzierungen und Kristallluster, in dem die polnische Band Twilite auftrat. Zugeben, das Café ist eines von der Sorte, derer es in Wien wohl hunderte gibt. Eine Institution ist es wegen seiner Inhaberin, einer urigen alten Dame, die ehemals an einem Würstelstand bediente und bei der die im Gastronomiegeschäft vielzitierten goldenen Regeln "Wer zahlt, schafft an" und "Der Kunde ist König" keine Gültigkeit haben. "Der Dogenhof ist ein Ort autonomen Herrschens. Die Wirtin bricht keine Regeln, aber definiert sie."
Meine Bestellung (saisonbedingt: Sturm) wurde daher mit dem Klassiker "Hamma net" zurückgewiesen, drei weiße Spritzer in legendär schlecht ausgewaschenen Gläsern dienten als Ersatz. Man kann Frau Elenis Gastronomiepolitik lieben oder nicht (ich bin da hin und hergerissen), Style hat sie schon!
Dem Sänger von Twilite stieß jedenfalls sauer auf, dass die Gastgeberin während des Konzerts ununterbrochen herumkommandierte und die sowieso schon wenigen Gäste einer akustischen Multitaskingbelastung aussetzte. "Could somebody ask the lady to be quiet?"
Frau Eleni nahm es ihnen jedenfalls nicht übel, mäßigte ihre Lautstärke und ließ Twilite ihre Arbeit verrichten. Das Duo spielte netten, harmonischen Pop mit zwei Gitarren, der teilweise frappant an Kings of Convenience erinnerte und auch gut ins Ohr ging, ansonsten eher nicht so bleibende Erinnerungen hinterließ. Ich muss allerdings zugeben, dass meine Aufmerksamkeit stets zwischen Bühne und Schank hin- und herwechselte...
Als dann Frau Elenis Hund von seinen Dogsittern auch noch zurückkehrte, war es Zeit zu gehen: Soviel Legenden auf einem Haufen!

 

Abermaliger Standortwechsel jedenfalls: Dillon hatte sich für das Odeon Theater angesagt. Dieses alte Theater wird gelegentlich auch für Konzerte genutzt, wobei in der marmorbödigen Halle eine Tribüne errichtet wird. Die Kombination Dillon plus exquisites Ambiente lockte jedenfalls massig Leute an, viele mussten stehen. Im Dunkeln, da Dillon offensichtlich das Licht scheut (oder einfach nur Show machen wollte). Jedenfalls gabs zwar genug Nebel, jedoch nur vereinzelte Lichtkegel, was sich für Dillons Musik natürlich anbot. Düster und entrückt klingt ihr Sound, so gab sie sich auch. In der Mitte Ms. Dillon an Mikro und Keyboard, am Rand ein Mann an Synthies und sonstigen elektronischen Gerätschaften.
Schon der zweite Song war Thirteen thirtyfive, was durchaus die Wünsche des Publikums bediente. Recht unterhaltsam gab sich die Deutsch-Brasilianerin aber vorerst nicht, ein Fotografenfreund erzählte auch, dass sie recht zickig bei den Vorgaben für die Fotos gewesen sei.
Gegen Ende des Konzerts aber kam jedenfalls Tip Tapping und Dillon startete einen kollektiven Gesang, ermunterte das anfangs vorsichtige Publikum und schaffte es schließlich, einen sehr schönen Wechselgesang zwischen Männern und Frauen zu installieren.
Ohne größere Vorankündigung verschwand das Duo dann aber und konnte erst durch wirklich vehemente Comeback-Forderungen der Zuhörerschaft auf die Bühne zurück gebracht werden.
So toll das Konzert in manchen Momenten auch war, so bemüht wirkte es teilweise auch. Ganz konnte ich der gefeierten Dillon ihre Düsterheit nicht abkaufen. Aber eh egal, sehr gut war das Konzert allemal und vor allem ein großes Erlebnis, das sich von "normalen" Konzerten deutlich abhob.

Es folgte der obligatorische Marsch zu einer neuen Location, diesmal dem Flex. Ich hatte mich schon ziemlich auf Wedding Present gefreut, die gleichzeitig spielenden Tu Fawning hatte ich glücklicherweise bereits gesehen, im Flex angekommen tat sich aber erst mal eine Viertelstunde nichts, bis die Band leicht verspätet auf die Bühne kam.
Viel los war nicht im Flex, 200 Leute vielleicht, die die alten Herren sehen wollten. Wesentlich mehr dürften sich am Fm4 Riverboat getummelt haben, wo Tu Fawning gerade spielten. Zuvor getätigte Äußerungen eines Freundes, Wedding Present live seien etwas fad, muss ich hiermit leider bestätigen. Zwar war das Konzert relativ laut (gut so!) und die Band durchaus gewillt, die Leute für sich zu gewinnen, am Ende wollte der Funken dann aber doch nicht so recht überspringen. Ein bisschen schade.

Die letzten zwei Songs von Tu Fawning gingen sich dann noch aus, gestärkt durch Kaffee des höchst spendablen Waves-Teams und die euphorischen Kurzrezensionen der Konzertbesucher. Schon das Konzert im Mai war sehr toll gewesen, nunmehr dürften Tu Fawning aber eine richtig große Nummer in Wien geworden sein. Schöne Sache!

Der Kreis schloss sich, es ging zurück an den Praterstern: Letze Station für diesen Abend war das Fluc. Ghostpoet durfte man da bewundern, was durchaus das Gedrängel wert war.
Fast faszinierender aber war es, vor dem Fluc zu stehen und den Gesprächen der Ansammlung der Menschen dort zu lauschen: von Bands, Leuten aus dem Musikbusiness, guten Freunden und Wiesn-Besuchern war da alles dabei, es brachte den Charakter des Waves perfekt auf den Punkt: Ein urbanes Festival mit allerlei hochinteressanten, unbekannten, aufstrebenden Band, mit dem intellektuellen Diskurs der Musikkonferenz und doch ein wenig mit Dorffestcharakter, wo man von der Bierbar zum Grill spazieren kann und überall auf bekannte Gesichter trifft. So gut die Bands an diesem Tag auch waren - das Beste am Waves ist die Atmosphäre, das fröhliche Treiben am Donaukanal, das Hin- und Her-Schlendern zwischen den einzelnen Locations und der von Festivalteam, Künstlern und Publikum gelebte Anspruch, neue Horizonte zu erreichen. Man kann eigentlich nicht froh genug darüber sein, dass Wien endlich ein Clubfestival dieses Formats hat. Und nicht nur die, die großen Durst an den Tag gelegt hatten, spürten am nächsten Tag noch den ambitionierten Wellengang des Waves... Waves ahoi!


aus unserem Archiv: 
- The Wedding Present, Köln, 23.09.12
- The Wedding Present, Barcelona, 30.05.12 (Seamonsters)
- The Wedding Present, Köln, 15.10.10 (Bizarro)
- The Wedding Present, Köln, 15.11.07 (George Best)
- The Wedding Present, Paris, 02.11.07 (George Best)

- Dillon, Dortmund, 28.07.12
- Dillon, Paris, 24.03.12
- Dillon, Paris, 19.11.11
- Dillon, Wien, 29.03.10
- Dillon, Köln, 04.03.10
- Dillon, Köln, 17.05.08

Dank für die Fotos an:
Nr. 1: Richard Taylor
Nr. 2: Patrick Münnich
Nr. 3: Richard Taylor

 

Konzerttagebuch © 2010

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