Donnerstag, 1. November 2012

Soap & Skin, Paris, 28.10.12


Konzert: Soap & Skin
Ort: La Cigale, Paris
Datum: 28.10.2012
Zuschauer: nicht ausverkauft
Konzertdauer: 90 Minuten


An Sonntagen bleibe ich eigentlich gerne zu Hause. Hat jetzt natürlich nichts mit religiösen Gründen zu tun, aber ich finde es irgendwie gemütlich, mal den ganzen Tag rumzugammeln und den Pyiama anzubehalten.

Dann aber erhielt ich gegen 18 Uh 30 einen Anruf und ein Freund bot mir einen Gratisplatz für Maximo Park in der Gaité Lyrique an. Erst sagte ich spontan zu, dann erinnerte ich mich wieder daran, daß ich heute nicht vor die Tür gehen und stattdessen lieber lesen wollte und sagte ihm schließlich ab.

Gegen 20 Uhr telefonierte ich mit Christoph Konzerttagebuch. "Geh da hin!" riet er mir, als ich ihm erzählte, daß Soap & Skin mit Ensemble in der Cigale spielen würde. Ich befolgte seinen Rat und hetzte zur U-Bahn. Als ich gegen 21 Uhr in die Cigale eintrat, sagte man mir am Empfang, daß ich etwa eine halbe Stunde des Konzertes verpasst habe, daß aber eine Spielzeit von einer vollen Stunde verbleiben würde. Das war bitter, aber anderseits spielen beispielsweise britische Gruppen nie länger als 60 Minuten, also warum sollte das nicht für einen guten Konzertabend reichen? Ich latzte 29 Euro und war drin. Meine Kamera hatte man mir abgenommen, so daß ich mich ganz auf die Show der Anja Plaschg und ihres Ensembles konzentrieren konnte.

Beim Vordringen Richtung Bühne fiel mir auf, wie leer es in den seitlichen Fluren war. Bei ausverkauften Konzerten drängen sich hier die Menschen, heute konnte man ganz gemütlich und breitbeinig dort entlangschlendern, es störte einen niemand. Der mittlere Bereich des Saales war durchgängig bestuhlt, ein eher seltenes Bild in der Cigale, wo gerne ausgelassen getanzt und gefeiert wird. Zumindest hier schienen die meisten Plätze besetzt, aber insgesamt musste man leider von einer eher dürftig besuchten Veranstaltung sprechen. Ich schätze, daß ungefähr 650-700 von maximal gut 1000 Leuten da waren.

Auf die Qualität des Konzertes hatte dies aber keinen Einfluss, denn- ich kann es vorwegnehmen,- der Auftritt von Soap & Skin war erneut packend, bewegend und in den besten Momenten gar magisch. Es dauerte ein kleine Weile bis ich mich mental auf die Sache einlassen konnte, bis ich mich nur noch auf die bizarre Kunst der temperamentvollen Musikerin aus Österreich konzentrierte und alles andere ausblendete. Dann aber war ich eingetaucht in das dunkle Reich der jungen Pianistin, die stimmlich zwischen hauchen und fauchen hin und her schwankte, mal wie Cat Power (Lost), mal wie Zola Jesus klang. Wie in früheren Shows tanzte sie auch heute wieder sehr eigenwillige, roboterhafte (oder besser schamanische?) Tänze, wandelte wie ein Zombie umher (war denn schon Halloween?) und schien vom Teufel besessen zu sein. 


Natürlich könnte man jetzt wieder über die Authenzität dieser gruselig anmutenden Posen diskutieren, aber belassen wir es einfach mal dabei, daß sie das Talent hat, viele (wenngleich nicht alle, ein paar fanden das Konzert auch eher schwach) zu elektrisieren. Im Zweifel ist sie zumindest eine gute Schauspielerin, dieses Talent ist ja auch schon nicht jedem gegeben. Und sie legt sich eben bei jedem Konzert voll ins Zeug, greint, schreit sich die Seele aus dem Leib und verleiht ihrer Stimme eine Note höchster Verzweiflung, so daß man sich wundert, wie sie kurze Zeit später wieder runterkommt, ihren Puls verlangsamt und wieder sanfter singt. Wirkt dann fast so, als hätte es den Wutausbruch vorher nicht gegeben. Sehr markant war das beim Übergang vom wilden Thanatos zu dem getragenen Fall Foliage. Kurze Zeit später wurde es mit dem instrumentalen Meltdown dann wirklich gespenstisch. Als würden die Kadaver auf ihren Gräbern einen makabren Tanz aufführen, so klang das. Der perfekte Soundtrack für einen Horrorfilm und das Orchester spielte hierzu brillant auf.
  
Nun aber wurde es plötzlich schlagartig witzig. Plaschg spielte nur ein paar Takte auf dem Piano und schon erkannte jeder sofort, daß nun Video Games von Lana del Rey kommen würde. Plashg selbst hatte schon nach diesen paar  Noten Lachkrämpfe, die sie hinter ihrem Arm zu verbergen suchte. Sie riss sich so gut wie es geht zusammen, hätte aber eigentlich jeden Moment losbrusten wollen. Ein paar Leute im Publikum kicherten, aber ansonsten war es sehr still,weil Anja den Song in Zeitlupe spielte und jeder gespannt darauf wartete, wie sie dieses Cover hinbekommen würde. In der Mitte des Songs nach dem Singen der Zeilen "I heard you like the bad girls, honey", ging aber gar nichts mehr und die Österreicherin brach lachend ab, kommentierte diese Szene jedoch nicht weiter und ging übergangslos zu dem nächsten Cover Voyage Voyage nach Desireless über. Ich halte die Version von Soap & Skin nicht sonderlich gelungen, finde ihren Akzent viel zu hart und glaube einfach auch, daß man dieses recht dümmliche Lied aus den 80igern auch nicht ordentlich covern kann. Dennoch agierte auch hier das Orchester ausgezeichnet und wertete zumindest den zweiten Teil des Liedes damit merklich auf.

Nach Lost und The Sun kam dann mit Vater der Höhepunkt des Sets. Angesichts meiner persönlichen Biografie setzte mir das Lied mit seinem eigenwilligen Text massiv zu und plötzlich dachte ich nur noch daran, wie Maden Kadaver zerfressen. War das schön oder schrecklich? Ich weiß es nicht so recht, aber kalt ließ mich Vater keineswegs.

Mit dem vom ersten Album stammenden Mr Gaunt 1000 kam dann ein umgemein betörendes Lied, das sich in diesem Jahr recht selten in den Setlisten der Soap & Skin Konzerte wiederfand. Herlich wie hier Piano und Streichinstrumente harmonierten und einen warmen, erlesenen Klangteppich schufen. Bei kaum einem Lied machte das Ensemble so viel Sinn, wie bei dieser traumhaften Ballade.

Nun waren wir fast am Ende angelangt, aber mit Marche Funèbre folgte noch einer dieser verstörenden, experimentellen Gruselsongs inklusive durchgeknallter Tanzeinlagen, die sich auch durch das ähnlich gestrickte Sugarbread zogen.

Die Band probte den Abgang, kam aber noch zu zwei Zugaben, jeweils Cover, wieder und als die letzten Takte des Velvet Underground Klassikers Pale Blue Eyes verklungen waren, setzte tosender Applaus  ein, der Anja sichtlich rührte. Mir war fast so, als stiegen Tränchen in ihren Augen hoch, aber überprüfen konnte man das nicht mehr, weil sie nun von der Bühne rannte, um sich nicht vollends von ihren Gefühlen übermannen zu lassen.

Eine starke Show! Hatte sich gelohnt, da noch hinzufahren.

Setlist Soap & Skin, La Cigale, Paris

01: Deathmental
02: Cradlesong
03: Big Hand Nails Down
04: Cynthia
05: Extinguish Me
06: Surrounded
07: Pray
08: Thanatos
09: Fall Foliage
10: Meltdown (Clint Mansell Cover)
11: Videogames, in der Mitte abgebrochen (Lana Del Rey Cover)
12: Voyage Voyage (Desireless Cover) 
13: Lost
14: The Sun
15: Vater
16: Mr. Gaunt Pt 1000
17: Marché Funèbre
18: Sugarbread

19: Me And The Devil Blues (Robert Johnson)

20: Pale Blue Eyes (Velvet Underground)

Aus unserem Archiv:

Soap & Skin, 17.04.12
Soap & Skin, Wien, 06.02.12
Soap & Skin, Wien, 10.02.12
Soap And Skin, Paris, 02.11.09
Soap And Skin, Köln, 30.09.09
Soap And Skin, Paris, 15.06.09

Anmerkung: sämtliche Fotos stammen von Robert Gil. Bie ihm liegt das Copyright. Seine Seite Photosconcerts.com findet ihr hier


1 Kommentare :

Gudrun hat gesagt…

Ich hatte erwogen, für das Konzert nach Paris zu kommen... Wir hatten dann aber an dem Wochenende etwas anderes schönes und einmaliges vor. Dank der Überwindung Deines inneren Schweinehundes habe ich nun immerhin einen Bericht! Die Fotos sind auch echt der Hammer (wie ja eigentlich immer bei Gil...)

 

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