Samstag, 12. Januar 2013

Kraftwerk, Düsseldorf, 11.01.13


Konzert: Kraftwerk 1 2 3 4 5 6 7 8
Album: Autobahn
Ort: Grabbehalle, Kunstsammlung NRW, Düsseldorf
Datum: 11.01.2013
Zuschauer: 800 (ausverkauft)
Dauer: exakt 120 min



Die spinnen doch. Am 11. Januar so ein Konzert anzubieten. Was soll denn jetzt noch kommen? Wäre mein Konzertjahr jetzt beendet, es wäre kein schlechtes.


Als Kraftwerk ihren Katalog 1 2 3 4 5 6 7 8 im MoMa in New York spielten, also die acht Alben ab Autobahn an jeweils einem Abend, beobachtete ich dies extrem wehmütig aus der Ferne. Seit meiner Jugend gehört die Düsseldorfer Band mit Weltruhm zu meinen Lieblingen. Das Model oder Music Non Stop waren eine Weile die wichtigsten Lieder meines persönlichen Katalogs. Die wenigen Chancen, Kraftwerk einmal live zu sehen, ließ ich sausen. So etwas weckt auf Dauer Verlangen. Als dann sehr kurzfristig die Katalogreihe auch für Düsseldorf angekündigt wurde, musste ich nicht lange überlegen und kaufte beim Vorverkaufsstart Tickets. Naja, überlegen musste ich schon, denn ich mußte mich für bzw. schlimmer gegen Alben entscheiden. Acht mal innerhalb von zehn Tagen nach Düsseldorf, ist schließlich selbst für unsere Maßstäbe hier besonders irre. Unter den ersten fünf Platten gibt es keine, die ich streichen wollte, alle sind mir so wichtig, daß ich ihren Abend erleben wollte. Und so werde ich jetzt eben meine nächsten Tage verbringen.



Autobahn von 1974 ist mit 42 min ein kurzes Album. Mehr als die Hälfte davon verschlingt das Titelstück. Daß am Autobahnabend nicht nur diese fünf Stücke gespielt werden würden, war offensichtlich. Daß es ein zweistündiges Konzert mit Autobahn und 18 weiteren Hits werden würde, hatte ich nicht erwartet!

Die Grabbehalle in der Kunstsammlung NRW ist größer als die Zuschauerzahl vermuten läßt. Der Raum ist luftig und für Konzerte blendend geeignet. Als wir um kurz vor acht reingingen, war der Saal zwar schon recht gut gefüllt, es bereitete aber keinerlei Probleme, ganz nach vorne zu kommen. Wir waren nicht sicher, ob das wegen des 3D-Films, der hinter der Bühne gezeigt würde, clever war, merkten aber schnell, daß er auch weit vorne funktionierte.

Kurz vor acht Uhr setzte leise elektronische Hintergrundmusik ein, um acht fiel dann der Vorhang, der die Bühne noch verdeckt hatte und gab den Blick auf die vier Musiker hinter ihren Pulten frei. Gleichzeitig setzten die ersten Takte von Die Roboter ein (die, um es im Journalisten-Profi-Slang auszudrücken, eine Signatur-Melodie sind). Dieser erste große Hit, die vier Männer in schwarzen Spiderman-Anzügen, die minimalistischen Pulte und die 3D-Animationen im Hintergrund stellten eine enorme Reizüberflutung dar! Ich wurde von Eindrücken überrollt! Vermutlich stand ich mit weit aufgerissenem Mund vor diesem beginnenden Gesamtkunstwerk, glücklicherweise hatte jeder seine 3D-Brille auf und guckte nach oben.

Die Brillen hatte es am Einlass gegeben, der viel weniger unangenehm war als befürchtet. Die strikte Politik, die wenigen und sehr begehrten Tickets zu personalisieren, überfordert Veranstalter ja gerne dann am Einlass. Hier funktionierte das System hervorragend, die Kontrolleure an den Türen erledigten die Ausweiskontrolle zügig und freundlich und drückten uns dann eben einen Pappschieber im Autobahn-Design in die Hände, in dem sich die Brille befand. Wundervolles kleines Detail!


Als nach Die Roboter das Geräusch eines startenden Motors erklang, begann die heutige Mottoplatte mit dem Titelstück. Autobahn war eine Ecke kürzer als auf Platte, die Kürzung fiel mir währenddessen aber nicht auf. Unmittelbar hinter den vier Musikern (Gründer Ralf Hütter sowie Henning Schmitz, Fritz Hilpert und vermutlich Stefan Pfaffe*) begann die Leinwand, auf der zu Autobahn die einfachen aber wahnsinnig eindrucksvollen 3D-Animationen liefen. Ich mag diesen ganzen 3D-Quatsch nicht und halte den Trend, alles um eine konstruierte dritte Dimension zu erweitern, für lästig. Dummerweise funktionierte es hier grandios! Und so tuckerte also ein VW Käfer über eine grelle Popart-Autobahn (Kennzeichen D KR-70), während Ralf Hütter "fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn" sang.


Die beiden Kometenmelodien folgten, deren Animationsunterstützung einfacher aber mindestens genauso toll waren. Es lief nämlich die Notation der Melodie dreidimensional durchs All, und ein Komet flog von rechts nach links durchs Bild. Kometenmelodie 2 ist bei all seiner Einfachheit ein sagenhaftes Stück Musikgeschichte, das leider vermutlich heute in dieser Konzertreihe letztmalig gespielt wurde.


Die beiden letzten Titel Mitternacht und Morgenspaziergang mit ihren Tiergeräuschen brachten dann auch den Ton in die dritte Dimension, aus allen Ecken des Saals erklangen elektrische Vögel. Vielleicht gab es solche Effekte auch vorher, sie waren mir wegen der vielen Reize nur nicht aufgefallen. Jedenfalls piepste es jetzt von überall!


Mit vier, fünf "Hits" hatte ich im Anschluß noch gerechnet, daß noch fast anderthalb Stunden folgen sollten, verblüffte mich! Fast sogar so weit, daß es zu viel fürs Geld war, das geboten wurde. Wenn ich ein Haar in der (Altbier-) Suppe suchen wollte, dann die Überforderung durch zu viele Knüller an einem Abend. In Zeiten des werbeunterbrochenen Fernsehens sind Leute ja allgemein nicht mehr in der Lage, zwei Stunden ruhig an der Stelle zu stehen, und eine Darbietung zu verfolgen. Mit der Zeit setzten immer mehr Gespräche ein, was aber heute nicht so sehr störte wie unter anderen Bedingungen. Dafür war mein Wille, mir mein Konzert nicht durch Idioten verderben zu lassen, zu groß. Der doofe laute Handytelefonierer während Autobahn ließ es dann auch schnell wieder, nachdem er irgendwem vorgespielt hatte "hey ich bin gerade hier, hör mal!" Dämliche Unsitte. Ich möchte bitte niemals angerufen werden und Konzertfetzen vorgespielt bekommen, ok?

Ich habe in den nächsten Tagen noch viel Gelegenheit, über einzelne Lieder zu schreiben, daher hier nur auszugsweise.

Der nach-Autobahn-Teil war blockweise und chronologisch aufgebaut. Also erst Geigerzähler und Radioaktivität vom zweiten Album, dann Trans Europa Express, Mensch-Maschine usw.

Daß bei solch einem Abarbeiten der Karriere viele Hits gespielt werden, ist unvermeidbar. Die Masse daran heute war - wie so vieles - überwältigend! Weil die Platten-Blöcke ineinander gespielt wurden, sind mir sicher einige der intrumentalen Kurzstücke durchgegangen, die den (um es noch mal fallenzulassen) Signatur-Liedern vorangingen bzw. folgten. Korrekturen der Setlist sind also willkommen! 


Ach, was soll ich herausheben? Das Model war natürlich toll, das Lied, mit dem die meisten meines Alters Kraftwerk wahrscheinlich für sich entdeckt haben. Zu Model lief im Hintergrund ein echter Film mit schwarz-weißen Modeaufnahmen (für die Werber und Kunstschaffenden im Publikum: ich meine das Video mit der Vintage-Optik). Zu den Tour de France Stücken radelten historische Tour-Fahrer die Berge hoch. Diese beiden (neben der Erde in Spacelab vielleicht) blieben aber die einzigen realen Filme, der Rest war animiert, und das zum großen Teil atemberaubend!

Zu Nummern liefen Zahlen über die Leinwand, die diese Matrix-Sachen blaß erscheinen ließen. Die über das Bild wandernden Reklamen bei Neonlicht begeisterten mich nicht minder, am wundervollsten waren aber die ganz einfachen Sachen, der Film zu Mensch-Maschine, der aus einfachen rot-weißen Formen bestand und die Musiker als Teil eines 3D-Films erscheinen ließ. Da störte auch der einzige Mini-Makel nicht, die kleinen Schatten, die die Musiker auf die Leinwand warfen. Hätte die einen Meter höher gehangen, wäre auch dies perfekt gewesen!


Kurz vor zehn verließen die Musiker nach und nach bei Music Non Stop ihre Pulte. Punkt zehn, nach exakt zwei Stunden ging Ralf Hütter - und das Licht an.

"Konzert" wird diesem Abend wenig gerecht, es war das große Stück Kunst und (bei aller Euphorie-Bremse) Kulturgeschichte, das die vielen Vorberichte und Kamerateams in Lobby und Saal hatten erwarten lassen.

Kraftwerk Non Stop - Samstag dann hier der Bericht zu Radioaktivität!


Setlist Kraftwerk, Der Katalog, Autobahn, Düsseldorf:

01: Die Roboter

02: Autobahn
03: Kometenmelodie 1
04: Kometenmelodie 2
05: Mitternacht
06: Morgenspaziergang

07: Geigerzähler
08: Radioaktivität (japanisch-deutsche Fukushima-Version)
09: Trans Europa Express
10: Abzug
11: Metall auf Metall
12: Spacelab
13: Das Model
14: Neonlicht
15: Die Mensch-Maschine
16: Nummern
17: Computerwelt
18: Computerliebe
19: Heimcomputer
20: Tour de France
21: Tour de France 2003 Mix
22: Vitamin
23: Planet der Visionen
24: Boing Boom Tschak
25: Technopop
26: Music Non Stop

Links:

- Kraftwerk 1 2 3 4 5 6 7 8 (Radioaktivität), Düsseldorf, 12.01.13
- Kraftwerk 1 2 3 4 5 6 7 8 (Trans Europa Express), Düsseldorf, 13.01.13 
- Kraftwerk 1 2 3 4 5 6 7 8 (Die Mensch-Maschine), Düsseldorf, 16.01.13
- Kraftwerk, Autobahn bei Pretty-Paracetamol

* nein!  Falk Grieffenhagen ist der Mann rechts!





7 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

:-)
Danke für den Bericht!
Die Zeitungen schreiben ja nur Belangloses und Austauschbares.
Wir sind am Samstag bei the Mix dort und Kraftwerk zum dritten Mal sehen, jedoch das erste Mal ein 3-D-Konzert...

Gudrun hat gesagt…

Danke für den Bericht, Christoph. Ich war sehr gespannt, ob es Dir gefallen hat!

Christoph hat gesagt…

Dann wünsche ich Euch ganz viel Spaß bei The Mix! Gerade diese 3D-Sache, die ich vorher als überflüssig angesehen hatte, macht eine ganze Menge des Reizes aus!

Christoph hat gesagt…

Gudrun, es war mehr als toll! Jetzt ist der Bericht auch ausführlicher, wird der Sache trotzdem nicht gerecht :-)

Guido E. hat gesagt…

ist halt nur doof wenn man nicht 3D sehen kann.

Germankraft hat gesagt…

Habe, wenn es genehm ist, den Bericht auf meine Info-non-stop Seite bei FB verlinkt.

https://www.facebook.com/pages/Info-Non-Stopde/216296538392854

Jan Rombout hat gesagt…

Danke. Treffender hätte ich es nicht (be)schreiben können. So können sich jetzt mögliche Begleitpersonen ein genaues Bild machen, ob ich für sie quasi als Eintrittskarte herhalten soll. Ganz wenige Rolli-/Begleiterkarten gibt es ja noch bzw. wieder.
Vlt. sieht man sich ja mal und sagt "Hallo".

 

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