Sonntag, 10. März 2013

Kinrisu & Julie Doiron, Paris, 14.02.13


Konzert: Kinrisu und Julie Doiron (La Route du Rock Session)
Ort: L'Espace B
Datum: 14.02.2013
Zuschauer: etwa 70
Konzertdauer:  Kinrisu ungefähr 35, Julie Doiron fast 90 Minuten

Version française en bas


Aktualität ist Trumpf. So zumindest haben wir uns das auf die Fahne geschrieben. Aber wozu gibt es die schöne Erfindung die da lautet: Ausnahme? Ja, Platz für Ausnahmen sollte es immer geben, zumal wenn die begutachteten Konzerte (Vorgruppe & Hauptact Julie Doiron) so gut waren wie diese hier. Ich kam schlichtweg bisher einfach nicht dazu, darüber zu schreiben. Dies hole ich hiermit nach. Also...

Der 14. Februar 2013: Valentinstag. Eine alte Vereinbarung mit meiner Frau besagt, daß wir diesen Tag nicht gemeinsam feiern. Von oben verordnete Liebe zu einem bestimmten Tag finden wir doof. Und Blumen kaufen wir, wenn uns danach ist. Wir sind da ganz unromantisch und eine inzwischen 18. jährige harmonische Beziehung gibt uns recht.

Meine (musikalische) Liebesbeziehung zu Julie Dorion ist noch nicht ganz so alt, aber zumindest 6 oder 7 Jahre hält sie schon an.

Und meine Liebesbeziehung zu Kinrisu, die hier als Support Act auftrat datiert vom 15.04.2012. Damals hatte ich die rothaarige Kalifornierin bei einem Wohnzimmerkonzert kennengelernt und war sofort hin und weg von ihren schrägen, scheinbar infantilen Kompositionen.

Seitdem arbeitet sie fleißig an ihrem neuen Album namens It Felt Like Destiny, das nun endlich auch ein richtiges Label finden soll. Ihre bisherigen Werke hat sie in Eigenregie hergestellt und auf Bandcamp hochgeladen, ohne daß sie je in den Handel gekommen wären.


Für den neuen Longplayer bin ich da sehr optimistisch, die Songs sind durch die Band weg originell, sehr eigenständig und höchst charmant. Da sollte es doch mit dem Teufel zugehen, falls sich hierfür kein Label finden ließe.

Trantütig wie ich bin, hatte ich allerdings den ersten Titel Bloodshot verpasst, weil ich mal wieder zu spät am Ort des Geschenes aufkreuzte. Bei Green Canary ZBD8263, bei dem es textlich unter anderem um suizidale Gedanken ging (die sich aber zum Glück in Luft auflösten) war ich dann aber voll mit dabei.
  
Mir blieb gerade noch die Zeit, Julie Doiron und ihren neuen Lebens -und Musikgefährten Christopher zu begrüßen, bevor ich mich voll und ganz dem Genuß des Konzertes von Kinrisu widmete. Das rothaarige dürre Mädel saß da ganz alleine auf ihrem Stühlchen und trällerte mit kindlicher Stimme ihre abgefahrenen Texte und spielte dazu sehr innovativ Gitarre.

Das hatte etwas Rührendes und man hatte irgendwie das Bedürfnis, das Mädel in den Arm zu nehmen.

Die Grundstimmung bei Gang Of verzweifelt, einsam, traumversunken, fragil.

Sie sang:

"you never call but i dream of you
riding on a big black horse like the cowboys do"


Bei dem nachfolgenden Don't Tell Me änderte sich aber die Atmosphäre  Nun war sie schnell, positiv, lieblich, unbeschwert und leicht. Kinrisu summte zu diesem Lied ein paar Passagen und bediente sich auch des ihr eigenen Guitar Tappings, das sie immer mal wieder geschickt einbaute.
 
Bei Nowhere kam ihr großes Heimweh nach Kalifornien zum Ausdruck. Erneut klang sie verzweifelt, einsam, und sehr verletztlich, es wirkte wie ein Hilferuf.

Textlich aß sie Kuchen gegen die Einsamkeit, nahm ein Toxin gegen den Schmerz.

Der Song war stilistisch in zwei Teile aufgesplittet. War der erste noch langsam und holprig, wurde das Tempo im zweiten deutlich erhöht. Ihr Guitartapping klang hierbei wie ein Bass, der Gesang war wehmütig und zärtlich, vor allem als sie über ihre Familie sang, die sie sehr vermisst ("I wish we lived in California, I left my family in California")

Bei Misfits In The Sun war die Stimmung zu Beginn ein wenig wie bei alten Stücken von Grizzly Bear, es wirkte wie vom Meeresgrund kommend und sehr lieblich, fragil und verwunschen. Zarte Chöre, betörende Gitarre, verhuschte Stimme, einfach unwiderstehlich. Gesanglich wechselten sich das kleine, manchmal etwas trotzige Kind und die verletztliche junge Frau ab.

Radical News war eine Art Wüstenlied und auch textlich hieß es: "The Moon comes out in the desert."

Bei Jupiter herrschte zumindest zu Beginn wieder ein höheres Tempo und der Gesang erinnerte in der Tat ziemlich an.. Coco Rosie. Dann verlangsamte sich die Geschwindigkeit aber wieder und die Stimmung wurde leicht bluesig. Textlich ging es um " ein tower building, einen black trench coat und black boots", alles etwas wirr, aber gerade deshalb so herrlich. Plötzlich kamen aufwallende, herrlich warme Gitarrenklänge hinzu und die Intensität wurde immer stärker. Wiederum verstand es Kinrisu meisterlich bei Tempo und Stimmung zu variieren. Außerdem blieb bei mir eine Textzeile haften:

"Two girls kissing one boy indian braids baby blue"

R and Charm kurz vor Schluss hatte etwa stark Anziehendes. Kinrisu flüsterte manchmal und machte Geräusche, die einem Ausatmen glichen, was eine unglaublich intime Atmosphäre erzeugte. Niemand unter den Zuschauern muckte, alle hörten wie gebannt zu und erfreuten sich auch noch an einem sehr starken neuen Track als Closer, der es nicht auf das Album schaffen wird, dafür aber beim darauffolgenden Longplayer Berücksichtigung findet.

In lediglich 35 Minuten hatte sich Kinrisu eindrucksvoll für weitere Konzerte empfohlen. Die Booker in Paris dürften bald nicht mehr an ihr vorbeikommen, so viel geballte Kreativität und Originalität sieht und hört man schließlich selten!

Dann aber endlich Julie Doiron. Immer wieder ein Highlight eines Konzertjahres, wenn die Kanadierin in Paris aufkreuzt. Leider sieht das wohl nicht jeder in der Seine-Metropole so, denn die Gigs von Doiron ziehen in der Regel maximal 100 Zuschauer an, was angesichts des Talents und der langen Karriere der Sängerin doch recht dürftig ist. Diejenigen, die am Valentinstag gekommen waren, waren aber fast alle richtige Fans, so daß die Stimmung sehr angenehm und locker war.

Doiron selbst alberte auch wieder einmal permament rum, machte Witzchen über ihre häßlich gewordene Frisur ("kennt ihr einen guten Frisör, der morgen gegen 10 Uhr auf hat und mir den Pony schneiden kann?"), ihr wallendes Oberteil ("damit könnte ich gleich ins Bett hopsen, um einen Film anzusehen"), ihre Unlust, ihre Gitarre richtig zu stimmen ("oh scheiße, das habe ich gerade sehr seltsam und schief gespielt, auf dem Album klingt das besser") oder ihre Schüchternheit ("kaum zu glauben, daß ich schüchtern bin oder? Deshalb rede ich so viel"...)




Bei ihr wirkt es oft so, als trete sie vor ein paar guten Freunden auf und oft ist das ja auch wirklich so. Da werden dann handwerkliche Fehler mit einem Schmunzeln kenntlich gemacht ("Mist, verspielt!") und nicht vertuscht, Titelwünsche von Fans berücksichtigt und aus der Seele keine Mördergrube gemacht. Julie kaschiert nie, wen sie müde und etwas lustlos ist, oder gerade Liebeskummer hat, sie redet immer frei Schnautze und plaudert gerne über das Leben auf der Tour. "Ach, ich bin so steif und zudem noch so kurzatmig, das kommt davon, daß ich immer nur im Van sitze und mich nicht bewege." Oder auch: "Ich fange meine Konzerte immer gerne dick eingemummelt an, denn wenn ich schwitze, fühle ich mich ein wenig wie ein richtiger Rockstar. Am Ende stehe ich aber meistens im T-Shirt da."



Nun, zumindest stand sie heute meist nicht allein da, denn an der zweiten E-Gitarre wurde sie von ihrem Partner Christopher begleitet. Ihr neuer Lover, mit dem sie auch über weite Strecken die Bühne teilte. En herrlich pflegmatischer Kerl, den niemand und nichts aus der Ruhe zu bringen schien. Als Julie nach einem Glas Wasser verlangte und er gefragt wurde, ob er auch Wasser wünsche, verzog er nur kurz seine Miene, kratzte an seinem grau-schwarzen Bart und meinte staubtrocken: "no water please, don't you have a beer or... wine? You know?" Natürlich bekam er sein Bier und Julie auch ihr Wasser und gut geölt schmetterten die beiden dann auch auf wesentlich rockigere Weise die Stücke des neuen Albums So Many Days Kratzigste Gitarren bildeten einen hübschen Kontrast zur ansonsten vorherrschenden Lieblichkeit, die überwiegend von Julies gutherziger Stimme ausging. Songs wie The Gambler, By The Lake oder Homeless klangen wesentlich angriffslustiger als auf der CD Version.

Natürlich wurden aber auch wieder alte Klassiker gespielt, die quasi nie im Programm der Kanadierin fehlen. So erklangen zu unser aller Freude Snowfalls In November, Swan Pond, The Tailor, The Wrong Guy oder Mon Charmant Coeur (von der rein französischen CD Desormais).

Persönlicher Lieblingssong der Künstlerin* selbst schien The Gambler zu sein. Gleich mehrfach erwähnte sie, daß es auf der Albumversion so herrliche Chöre gäbe und das sie beim Ersthören der Studioversion des Liedes vor Rührung geweint habe (bevor sie dann sofort ihre Mutter anrief). Die Harmoniegesänge fehlten natürlich heute, aber das war vielleicht gar nicht so tragisch.



Stellt sich die Frage, was man grundsätzlich von dem neuen Album und der Liveumsetzung zu halten hat. Nun, ich finde es ist ein gelungenes Werk geworden, das aber thematisch manchmal ein klein wenig eintönig wirkt. Ein Lovesong (mit unmissverständlichen Liebesbeteuerungen an wen? Sicherlich an Christopher) jagt den nächsten und man fragt sich, ob das auf Dauer nicht ein bißchen banal ist. Nicht, daß die Liebe an sich ein banales Thema sei, aber in den Texten wird alles so offen und direkt formuliert, daß die Kitschschwelle bisweilen nicht zu weit entfernt ist. Andererseits sind die Lyrics aber auch gleichzeitig so extrem ehrlich, wie sie nur eine Julie Dorion glaubwürdig formulieren kann.


Beim Konzert in Paris spielte das aber eh keine große Rolle. Altes und neues Material wurde so gekonnt miteinander vermischt und mit soviel Spielfreude und Herzblut vorgetragen, daß man nur mit der Zunge schnalzen konnte. 1 Stunde und 25 Minuten lang wurde man in jeder Hinsicht bestens unterhalten und erlebte erneut eine Künstlerin, die in punkto Natürlichkeit einfach unschlagbar ist.

Konzerte von Julie sind immer herzlich und erfrischend und wenn es denn stimmt, sehen wir die mehrfache Mutter in Paris bereits im Mai wieder.

* mein persönlicher Favorit? Die alte Ballade Dirty Feed vom 2004 er Album Goodnight Nobody. Ungemein nahegehend!

Version française:

Bon, normalement nous sommes très rapide et réactif ici sur Konzerttagebuch,  mais parfois on prend aussi un peu de retard. C'est pour cela que je publie seulement maintenant le compte-rendu du très beau concert de Kinrisu et Julie Doiron à L'Espace.

C'etait le 14 février, le jour de la saint Valentin. Avec ma femme nous sommes d'accord de ne pas fêter ce jour ensemble. Nous trouvons ça trop kitsch et on s'offre des fleurs quand nous  avons envie. Nous ne sommes pas romantiques, c'est vrai, mais notre rélation amoureuse est harmonieuse et dure quand même 18 ans maintenant.

Ma relation amoureuse avec la musique de Julie Dorion dure un peu moins que ça, mais 6 ou 7 ans tout de fois.

Ma relation amoureuse avec la musique de Kinrisu est plus récente. Elle a commencé le 15 avril 2012, le jour ou je l'avais découverte par hasard dans un concert d'appart. J'était tout de suite sous le charme de sa voix infantile et de ses compositions étrangement belles.

Depuis la californienne rousse travaille avec ferveur  sur son nouvel album intitulé It Feels Like Destiny, pour lequel elle veut enfin trouvé un vrai label. Ses disques précédents, elle les avait mis sur son bandcamp, mais ce n'est jamais réellement sortie.


Pour le nouvel opus je vois de bonnes chances que tout cela change. Il y a plein de morceaux originaux et charmants, le potentiel est énorme.

Les chansons de cet album à venir, Kinrisu les interpreta quasiment en intégralité ce soir à l'Espace B.

Comme souvent j'avais pris en peu de retard et rata Bloodshot, le premier titre. Mais pour Green Canary j'étais bel et bien présent et attentif.

Ça parla des idées suicidaires, qui finissent heureusement par s'évaporer.


 

Puis elle chanta Gang Of, un morceau sublime où toute la fragilité de la jeune fille ressortait. On la sentait seule, en désespoir et anxieuse. L'ambiance était très rêveuse.


Elle chanta:

"you never call but i dream of you
riding on a big black horse like the cowboys do"

Pour Don't tell Me l'ambiance changa. C'était un morceau plus rapide et entrainant, léger, aérien, insouciant. Kinrisu fredonnait et tapait sur le bois de sa gitarre, un geste qu'elle utilise fréquemment.

Nowhere parlait de son mal du pays et de sa solitude ici en France. Elle chante que sa famille en Californie lui manque énormément et qu'elle aimerait bien y être. La chanson est divisé en deux parties, une assez lente et mélancolique une autre plus rapide et agitée, comme deux chansons en une en fait. Ce changement d'ambiance et de rythme était épatant et montra le grand talent de chanteuse.

Un des temps fort du concert était certainement Misfits In The Sun, une chanson qui me rappella les vieux titres de Grizzly Bear qui, eux aussi, semblaient venir du fond de la mer. C'était envoûtant, ensorcelant, doux et magnifiquement beau. Kinrisu chanta avec deux voix. Une fois il y avait cette gamine un peu révoltée et puis aussi la jeune femme fragile, mais gracieuse. Parfois on avait l'impression que son chant venait d'un vieux grammophone. Un clip vidéo est en préparation, j'ai hâte de voir le résultat.

Un autre temps fort était Jupiter. Là aussi l'artiste varia parfaitement l'ambiance et la vitesse. Parfois il y avait un côté bluesy, parfois c'était plus folk expérimental. Son jeu de guitare y était particulièrement chaud et séduisant. Le texte parlait de Black Boots et d'un black trench coat mais aussi d'un tower building. Pas facile à déchiffrer et comprendre le sens derrière les paroles, mais c'est ça aussi qui rend cette musique si fasçinante. Les paroles sont assez étranges et laissent plein de place à la libre interprétation. Elles sortent de l'ordinaire et font partie de l'univers particulier et ultra passionnant de l'artiste. Elle ne fait pas de rimes plates et banales, chez elle c'est un puzzle de mots, d'expressions, d'observations, des parties de rêves... C'est un  univers ultra coloré et créatifs, très intuitif, venant du ventre. C'est bricolé, lo-fi a souhait et très personnell laissant places à l'imagination et toujours balançant entre la gamine qui réside toujours en elle et la jeune mère responsable. Sa musique semble comme un refuge pour elle pour s'échapper a une réalité quelquefois un peu triste et déprimant, mais aussi d'un défouloir pour faire sortir des pensées intérieures. Elle crée avec sa musique un monde féerique, poétique, parfois insouciant, parfois ménacant, mais toujours divinement beau.

Je suis complètement sous le charme en tout cas et j'ai eu l'impression que les autres spectateurs avaient aussi beaucoup apprécie cette prestation.








 

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