Mittwoch, 17. April 2013

Ben Schadow Band, Stuttgart, 14.04.2013

Konzert: Ben Schadow Band
Vorbands: The Overdressed Monkeys / Achim Erz
Ort: Café FAUST, Stuttgart
Datum: 14.04.2013
Zuschauer: über 40
Dauer: Ben Schadow Band 60 Min.; The Overdressed Monkeys etwa 30 Min.; Achim Erz 15 Min.




Als um Viertel nach elf die letzten Töne von „Was, wenn es mich wach entdeckt“ verklingen, das Licht angeht und Musik vom Band erschallt, bin ich erleichtert. Der ganze Stress hat sich gelohnt, das erste von mir organisierte Club-Konzert wurde ein Erfolg – für Zuschauer und Bands.

Mit Ben Schadow verbindet mich seit seinem ersten Wohnzimmerkonzert bei uns ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Ein Konzert seiner ausgedehnten Band-Club-Tour im April zu veranstalten, war für mich folgerichtig. Nachdem ich das Studentencafé FAUST, für das ich ehrenamtlich arbeite, als Veranstaltungsort gewinnen konnte, ging die Planung erst richtig los. Als Vorbands konnte ich die aufstrebende Stuttgarter Band The Overdressed Monkeys und Achim Erz, wie Ben Schadow Mitglied in Bernd Begemanns Band Die Befreiung verpflichten. Für Schlagzeuger Erz sollte es der erste Auftritt als Solokünstler werden.

Es ist der Tag nach dem Wohnzimmerkonzert Tonbandgeräts; die Temperaturen erklimmen weitere Höhen und das sonntägliche Stuttgart verströmt ein mediterranes Flair. Die Ben Schadow Band erscheint am frühen Nachmittag, technische Probleme werden schnell beseitigt und der Soundcheck lässt Großes erwarten. Etwas später trifft Achim Erz am Hauptbahnhof ein, der kurz darauf mit seinen beiden Mitmusikern Robert Holstein und Nicolas Nitt nochmals sein Set durchgeht. The Overdressed Monkeys entscheiden sich heute für ein akustisches Set und werden das Konzert eröffnen.
 Der Saal im Keller eines der Gebäude der Stuttgarter Universität füllt sich rasch und gegen halb neun betreten The Overdressed Monkeys in Banduniform (Smokings) die Bühne. Die Band um Songwriter, Bassist, Keyboarder und Sänger Moses Eduardo Luta besticht durch große Energie und eine leidenschaftliche Performance. Lutas Gesang erinnert dabei positiv an Kele Okereke von Bloc Party; überhaupt kreieren Timo Scheib (Schlagzeug), Miguel Perez Beroth (Gitarre) und Lutas Schwester Miriam (Gesang) einen stimmigen Soundteppich zwischen der englischen Indie-Institution Okerekes und den Berliner Punkrock-Größen Beatsteaks. „Lights of Life“, zu dem das erste professionelle Musikvideo – das mich an U2s Clip zu „Beautiful Day“ denken lässt – des Quartetts entstand. 


Die Atmosphäre nimmt die relaxte Stimmung einer Kreuzfahrt mit den Overdressed Monkeys als perfekte Animateuren an. Der Kontrast zum deutsch-sprachigen, textlastigen Indie-Pop Erz' und Schadows fällt nicht störend ins Gewicht, vielmehr sorgt die junge Band für einen gelungenen Einstieg. Nach etwas über einer halben Stunde endet der funkige, gut gelaunte Auftritt einer Band, die mit Songs wie „Stalker“ noch große Pläne hat.



Nach einer kurzgehaltenen Umbaupause betreten Achim Erz und seine beiden Mitstreiter die Bühne des im Keller gelegenene Studentencafés. Es ist das Live-Debüt des begnadeten Schlagzeugers, der schon mit Adam Green jammte und fester Drummer bei Bernd Begemann & Die Befreiung ist. 
  Vier Songs umfasst das Set des Münchners, der vor etwas über zehn Jahren nach Hamburg zog. „Ich dachte, die Tage sind gezählt, sobald man irgendetwas verspricht.“ Bereits „Gewartet“, der erste von vier Songs, die Erz heute Abend vorstellen wird, überzeugt textlich auf ganzer Linie. Der Gesang erinnert dabei an den ganz, ganz frühen Udo Lindenberg, während die lyrische Qualität, die lakonische Eleganz und das sympathische Wechselspiel aus tieftrauriger Ernsthaftigkeit und unterschwelligem Humor, Sven Regeners Arbeit für Element of Crime oder den Songs der Kölner Band Erdmöbel in nichts nachsteht.
„Im Winter hab' ich mir schon überlegt, welche Lieder ich dir aufnehm' für den Herbst.“ Der Natureingang unter Verwendung der Jahreszeit ist so unpathetisch melancholisch, dass es einem wie eine Faust im Magen trifft. Sind doch Winter und Herbst die düsteren Jahreszeiten, metaphorisch gerne verwendet für Trauer, Melancholie und Depression. Doch räumt Erz diese Assoziation selbst aus dem Weg, wenn er singt „Und ich sehe, dass es etwas gibt / Schöner als Jahreszeiten, die ich so geliebt / Die mich mein Leben lang begleiten“. Nicolas Nitt und Robert Holstein leisten als harmonische Backroundsänger Schwerstarbeit, schließlich singen die Beiden unverstärkt – unplugged im wahrsten Sinne. Erz spielt Gitarre und nimmt textlich gar eine versteckte Metaebene zum eigenen Text ein, bezieht Stellung zur eigenen Metrik: „In Liedern, alle nur für uns geschrieben, in diesen wirklich gut gemeinten Reimen“. In unreinen Reimen eine derartige Zeile zu schreiben, zeugt von höchstem lyrischen Grundverständnis, beweist das enorme Textertalent eines Musikers, der als Sideman des großartigsten deutschen Songschreibers, Bernd Begemann, immer mit der Champions-League nationaler Liedkunst konfrontiert ist; dass sein eigenes Werk diesem ebenbürtig ist, lässt nur die Frage zu, warum er sich so lange Zeit für den Schritt zum Solokünstler nahm. 


Ich bin zwischen 33 und 45 Jahren alt“ singt er im fantastischen „Mein Leben ist ein Medley“, dem dritten Song, den es heute zu hören gibt, und seinen wohl bisher besten. Die angedeutete Erwähnung der Geschwindigkeit von Schallplatten-Umdrehungen in der Minute ist brillant. Die erzeugten Bilder sind feine Stiche, keine Schwarz-Weiß-Malerei, sondern sensible Alltagsstudien aus dem Leben eines Künstlers: „Mein Leben ist ein Medley, nie kann ich was durchziehen / Mein wahres Ich gibt’s nur als Raubkopie / Also finden werdet ihr mich nie.“

Nach dem Konzert wird ein guter, konzertbegeisterter Bekannter mit den Worten „Wie geil ist denn bitte Achim Erz“ auf mich zu kommen, der besonders den erwähnten Songs berechtigterweise in den höchsten Tönen lobt. Solos gibt es heute keiner – die Erwähnung dessen sorgt für kurzen Applaus - doch gibt sich Erz augenzwinkernd optimistisch. „Ben meinte zu mir, dass Neil Young ganze Soli auf nur einer Saite spielt, na also.“

Dass nicht nur begabte Rapper und große Popliteraten gelungenes Name-Dropping zustande bekommen, beweist der Wahl-Hamburger mit dem vierten und letzten Song heute Abend. Am Klavier sitzend, während Holstein Bass und Nitt Gitarre spielt, besingt Erz ehrlich reflektiert eine Trennung unter der Erwähnung äußerer Umstände und Vergleiche. „Nimm den Metzger oder Bäcker / alles gleich gut, beides lecker / Und du wünschst dich zurück / Wenn die Nacht dich weckt.“ Ist das nun traurig oder schwarzhumorig? Der Sänger überlässt das Urteil dem Publikum und betreibt Name-Dropping in Perfektion: „Gehst du zu Penny oder Lidl / Bist du Stone oder Beatle? / Oasis gegen Blur / Das war wohl mal recht wichtig, doch ich schwör' / Reunions gibt’s für dich nicht mehr.“ Ob der große Britpopfan hier die Reunion Blurs verurteilt, sei dahingestellt. Fraglos bleibt jedoch, dass die Bezugnahme von Reunions großer Bands auf eine gescheiterte Beziehung doch nur folgerichtig sein kann. Wieso sollte man sich eine nostalgische Reunion-Tour antun, wenn man nie wieder etwas mit der Ex anfangen würde. Die zynisch-komischen Schlussverse sind der gelungene Schlusspunkt eines kurzen Konzerts, das große Hoffnungen in den Solokünstler Achim Erz setzt: „Du musst jetzt ganz viel fernsehen / Ich verkauf dir meinen Flatscreen.“


Setlist, Achim Erz, Stuttgart
 
01: Gewartet
02: Klappentext
03: Mein Leben ist ein Medley
04: „Häng' die Bilder an die Wand...“




Dass das Solo-Debütalbum „Liebe zur Zeiten der Automaten“ seines Befreiungs-Kollegen Ben Schadow für mich persönlich mit "Kid Kopphausen" das beste deutschsprachige Indie-Album des vergangenen Jahres ist, muss ich nicht noch einmal vertiefend erwähnen. Wie sehr diese Songperlen durch eine fantastische Band noch weiter aufgewertet werden können, hätte ich jedoch nicht erwartet. David Rieken, Leadgitarrist bei Dirk Darmstaedter und in der Band von Moritz Krämer, beispielsweise schenkt der 60s infizierten Musik des Hamburgers einen angenehm gehauchten Americana-Flair ohne dabei an die country-esken Klänge von Nils Koppruchs Fink zu erinnern. Ohnehin sind die Instrumentalpassagen heute durchgehend berauschend. Ben Schadow ist es gelungen für seine 16 Konzerte umfassende Tournee eine illustre Truppe aus Größen der unabhängigen deutschen Musikszene zusammenzustellen.
Neben Rieken spielt so Tobias Noormann, der Schlagzeuger von Mikroboy, und der äußerst profilierte Tontechniker und Produzent Thomas Hannes in dieser Besetzung der Ben Schadow Band. Hannes ist seit über einen Jahrzehnt der beste Freund Schadows und spielt heute Bass, also eben jenes Instrument, an dem man den heutigen Frontmann in seinen meisten Projekten sehen kann: Sei es bei Bernd Begemann, Dirk Darmstaedter oder der Indie-Folk-Band Pretty Mery K. Die Referenzen Hannes' lesen sich hingegen wie ein Who is Who der nationalen und internationalen Musikbranche. Von Stars der Klassik wie Nigel Kennedy, über die Jazz-Größe Charlie Mariano bis hin zu den Ibbenbürener Pop-Punks Donots, Max Herre oder den Offenbacher Straßenrapper Haftbefehl reicht das Spektrum derer, mit denen er gearbeitet hat.

In einer Fred-Perry-Sportjacke beweist er heute, dass er auch große Qualitäten als Instrumentalist besitzt.


Ben Schadow, gekleidet in blauer Jacke, kariertem Hemd, Jeans und roten Sneakers eröffnet sein gut einstündiges Set mit „Gnade trägt man in Särgen“; einem der wohl kreativsten Trennungssongs deutscher Popmusik, der „Dig a Pony“ von den Beatles sehr ähnlich sieht. Überhaupt ist das Werk Schadows durchzogen von Referenzen, intertextuellen Bezügen auf Klassiker der Popmusik oder Literatur und Zitaten. So ist bereits der Albumtitel „Liebe zur Zeit der Automaten“ eine Hommage an E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“. Auch das von der Frankfurter Künstlerin Anny Öztürk geschaffene Tourplakat nimmt Bezug auf Schadows Lieblingsautor, indem es das Nachtwandler-Motiv formschön aufnimmt.

Bei „Herz aus Holz“, meinem liebsten Schadow-Song, spielt dieser heute Mundharmonika, was natürlich Assoziationen zu Neil Youngs „Heart of Gold“ weckt. Rieken spielt tolle Passagen, Hannes souveräne Basslinien und Noormann hält einen tadellos-dezenten Beat. „Und jetzt weiß ich Bescheid / Und ich weiß es noch nicht lang / Ich liebte die ganze Zeit gar nicht dich / Sondern dass ich dich nicht haben kann / Mit meinem Herz aus Holz.“ Ein wunderschöner Song, der von einem nicht minder schönen Stück deutscher Popmusik abgelöst wird, der ersten Single „Ich fall' immer auf die selben Dinge“ rein.

Zusammen zuletzt“ und „Einer aus Stolz, einer aus Scham“ sind ebenbürtige Titel und „Ich hab' geträumt, ich sei tot“ wartet mit einem „Hey Jude“ - entlehnten Refrain auf, während dem David Rieken ein formidables Solo spielt, während Schadow einen Traum besingt, indem er seine eigene Beerdigung mit Blick aus dem Sarg erlebt. So traurig die Thematik anmutet, so reizend ist die Musik währenddessen und auch der Text ist frei von jeglicher misanthropischer Grundhaltung, die man bei solch einem Titel durchaus hätte erwarten können.


Vor etwas über zehn Jahren war Ben Schadow Mitglied der Hamburger Mod-Band Les Garçons, mit denen er zwei wunderbare Alben - mit unnachahmlichen Songtiteln wie "Hutkosmopolitin" oder "Freundin auf Latein" - aufnahm. Neben Superpunk war das Quartett die vermutlich wichtigste deutsche Mod-Formation der jüngeren Vergangenheit. Nicht zu Unrecht bezeichnet Rieken seinen Bandleader als Modgott. Drei Songs aus dieser Zeit folgen direkt aufeinander: Das großartige „Gerade verliebt“, das Bernd Begemann in der Studioversion singt, geht in „Buena Sera Signor, Buena Sera“ und dann in „In einer Welt voller Sonnenschein und Bier“ über.

Wer bisher gedacht hat, dass Beck die beste Version des Klassikers „Everybody's Got To Learn Sometime“ der Korgis spielte, wird heute eines Besseren belehrt. Der todtraurige Song erlebt seine definitive Fassung in dieser Besetzung der Ben Schadow Band. Schadow singt im Bariton, während seine brillante Band glänzt. Wer sich nicht vorstellen kann, wie gut das klingt, muss unbedingt zu einem der übrigen Konzerte dieser Tour gehen. Wer es sich vorstellen kann sowieso.


Mit der wundervollen Zugabe „Was, wenn es mich wach entdeckt“ endet nach ziemlich genau einer Stunde ein geniales Konzert einer genialen Band.

Ich bin glücklich und freue mich. Nach dem Abbau fällt alle Belastung von mir. Alle Mühen haben sich gelohnt. Es wurde ein perfekter Abend.

Setlist, Ben Schadow Band, Stuttgart
 
01: Gnade trägt man in Särgen
02: Herz aus Holz
03: Ich fall' immer auf die selben Dinge rein
04: Zusammen zuletzt
05: Einer aus Stolz, einer aus Scham
06: Ich hab' geträumt, ich sei tot
07: Gerade verliebt (Les Garçons – Song)
08: Buena Sera Signor, Buena Sera (Les Garçons – Song)
09: In einer Welt voller Sonnenschein und Bier (Les Garçons – Song)
10: Wie leicht es wär' einfach zu bleiben
11: Everybody's Got To Learn Sometime (The Korgis – Cover)
12: Heller Fleck im schwarzen Meer
13: Was, wenn es mich wach entdeckt (Z)


Tourdaten Ben Schadow Band:


17.04. – Ben Schadow – Köln – Stereo Wonderland
18.04. – Ben Schadow – Halle/Saale – Brohmers
19.04. – Ben Schadow – Hamburg – Knust (gemeinsam mit Bernd Begemann & Die Befreiung)
20.04. – Ben Schadow – Oberhausen – Zentrum Altenberg
21.04. – Ben Schadow – Osnabrück – Big Buttinsky
22.04. – Ben Schadow – Aachen – Domkeller
23.04. – Ben Schadow – Bonn – Bar Ludwig (gemeinsam mit Miomiao)
24.04. – Ben Schadow – (F) Sarreguemines – Terminus Brasserie
25.04. – Ben Schadow – Mannheim – RaumZeitLabor
26.04. – Ben Schadow – Rüsselsheim – Das Rind
27.04. – Ben Schadow – Münster – Eule

 

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