Dienstag, 23. April 2013

Element of Crime, München, 10.04.13


Konzert: Element of Crime
Vorband: Apples in Space 
Ort: Freiheiz, München 
Zuschauer: etwa 500 (?) (ausverkauft) 
Datum: 10.04.2013 
Dauer: Element of Crime 120 Minuten, Apples in Space 20 Minuten 


von Fabian von Gefuehlsbetont aus Stuttgart 


 „Wir sind kein Bekleidungsgeschäft“ 

“Liedwünsche werden nicht erfüllt. Wenn eine Band 20 Lieder an einem Abend spielt und 50 im Repertoire sind, kann man sich ausrechnen, wie hoch die Chancen sind.” – Sven Regener stellt gleich zu Beginn ironisch lehrerhaft fest, wie die Sache heute im ausverkauften Freiheiz an der Donnersberger Brücke in München aussieht. Die meisten im Publikum sind etwa so alt wie Regener selbst, gemeinsam schauen wir alle gebannt zu ihm hoch. Ich bin wohl mit einer der Jüngsten heute, jedoch beim besten Willen nicht der Einzige meiner Altersklasse, die Element of Crime, ja, vergöttern. Da kenne ich sicher zehn weitere Leute, die ebenfalls im Schnitt 20 Jahre alt sind und das Gleiche empfinden. “too old to die young” ziert einige T-Shirts im Saal – das Gros der Zuschauer bestätigt die langjährige Treue, die wohl auf jeder Tour hinten ihr Bier trinken und mitschunkeln. Hier im Freiheiz ist die Welt in Ordnung. Die “Neuen” rücken spätestens dann nach, wenn man sich von Regeners Texten nicht mehr sattlesen kann – und viel zu oft in größter traurigschöner Melancholie versinkt – oder eben vor Genialität sprachlos ist.

Ebenso genial ist diese gesamte Aufmachung der Tour. Die fünf Herren (zählt man Christian Komorowski als Live-Violonist mit) sorgten vor einigen Monaten mit der Bekanntmachung der Termine für einen Paukenschlag: Wir hängen tagsüber ab und spielen abends im Club ist das Leitmotiv und Motto der Tour, die im März und April 2013 stattfindet. Dabei spielt die Band in fünf Städten 21 (!) Konzerte – am Beispiel Berlin hieße das: Sechsmal hintereinander jeden Abend im Club Lido – von Sonntag bis Freitag. Jeder Tag ist ausverkauft, so auch die gesamte Tour. Besonders eindrücklich ist dabei der Tourplan auf der Startseite ihrer Homepage www.element-of-crime.de – denn bei Bekanntgabe der Termine hatte ich meine Zweifel und Hoffnung, dass es nicht floppt. Ich wurde schnell eines Besseren belehrt und musste mich sogar am Ende ranhalten, um noch ein Ticket für ein Konzert in München zu ergattern. Mit großer Freude sehnte ich dem Termin herbei und war lange gespannt, was Element of Crime spielen würden. Für mich eine der wenigen Bands, bei denen ich irgendwie keine Erwartungen habe. Sie könnten spielen was sie wollen – was sie auch tun- und immer wieder versteckte Hits rauskitzeln – oder längst Vergessenes entstauben um den Glanz wieder zu zeigen. Doch bevor man die Ehre haben darf, haben Element of Crime eine Vorband im Gepäck. 


Dass die Auswahl auf Apples in Space aus Berlin trifft, wundert mich kaum. Der Gitarrist des sehr jungen Duos ist Phil Haußmann, Sohn des Regisseurs Leander Haußmann, der, ja, richtig – mit the one and only Sven Regener nicht nur dessen Bestseller Herr Lehmann verfilmt hat, sondern auch beim aktuellen Kinostreifen Hai-Alarm am Müggelsee mit ihm Regie führte. Da Sven Regener zwei Songs der Band aufgenommen hat, lässt er es sich nicht nehmen, sie im Freiheiz persönlich anzusagen. “Gitarre spielen wie die Wilden”, sollen sie. Auch bei Maike Rosa Vogel, die auf der aktuellen EOC-Tour alle Abende in Hamburg und Berlin eröffnet, war Regener Produzent. Er investiert stets in eigene Projekte, was natürlich viel Sinn macht. Dennoch werde ich nicht wirklich mit ihnen warm – so auch heute bei Apples in Space, die trotz hütender Hand eines Helden mit einem zwanzig minütigen Set weniger beeindrucken. Schlaffe Folksongs in englischer Sprache, wenig Ausbruch oder transportiertes Gefühl. Auch schmiegt sich Haußmanns Stimme kaum seinem guten Gitarrenspiel an. Es wirkt alles etwas verloren, schülerhaft -okay, sie sind jung-, dennoch bekommt die Band viel Applaus. Sicherlich Regener-Jünger, ich zähle mich ja auch dazu, die mehrfach angekündigte “Tour-EP” der Beiden kaufe ich mir dann doch nicht. Prinzipiell bin ich nicht so der Fan von Bands, die ihrem Publikum ständig erzählen, dass sie einen Merchtisch, ein neues Album, hübsche T-Shirts, einen Webshop oder ‘ne tolle Single haben. Ich will nicht einkaufen, ich möchte Musik live hören. Klar müssen junge Bands lauter schreien, aber den Merchtisch direkt neben dem Eingang sollte wohl niemand übersehen haben. Wems gefällt, wird den Weg dahin sicher allein finden. 

Und so schnell die junge Band mit dem ulkigen Namen die Bühne mit erneutem Verweis zum Merch zu gehen *schnarch* verlässt, blitzt der gute Geschmack irgendeines Technikers auf. John K Samson’s Lieder ertönen zur Pausenmusik, gefolgt von Thees Uhlmann. Schicke Playlist, nachdem das Grand Hotel van Cleef auch den Merch für Element of Crime übernimmt.

“Kaufst du Schuhe, nimmst du die mit den Nägeln unten dran und dazu den Arztroman, in dem die blonde Schwester immer, wenn sich ihr der fiese Chefarzt nähert, ihn sich mit dem Injektionsbesteck vom Leibe hält. Wo deine Füße stehen, ist der Mittelpunkt der Welt.” 


Meine Füße stehen wie angewurzelt auf festem Boden, während Element of Crime um 21 Uhr geschlossen die Bühne betreten und von großem Applaus empfangen werden. Sven Regener lächelt, das Licht wird gedimmt – Achtung, jetzt wird es stimmungsvoll. Die Berliner eröffnen mit dem Titeltrack ihres elften Studioalbums Mittelpunkt der Welt, dem Album, das den “kommerziellen Durchbruch” markierte und sie auch zu einem netten Auftritt bei TVtotal führte. Vielleicht auch das Album, das ich Leuten empfehlen würde zu kaufen, wenn sie Element of Crime hören möchten. Schon mit den ersten Zeilen bricht Sven Regener wieder alles auf. Man kann es drehen und wenden wie man will, man macht es nicht mal – dieser Mann schreibt die besten deutschsprachigen Texte. Punkt. Da kann ich noch so sehr Fan sein, diese Behauptung muss ich so vertreten. “Im Lotto spielst du immer nur die Zahlen zwischen fünf und zehn und als Zusatzzahl dein Lebensalter, denn als Lottospieler, sagst du, darf man höchstens 49 Jahre alt sein, später wär’ es schade um das Geld. Wo deine Füße stehen, ist der Mittelpunkt der Welt.” 

Ein starker und konstanter Beginn gibt auch einer Band, die seit knapp dreißig Jahren auf Bühnen unterwegs ist, Sicherheit. So wird man die ersten drei Songs Mittelpunkt der Welt, Deborah Müller und Delmenhorst auf der gesamten Tour in dieser Reihenfolge als Opener hören. Bei Letzterem bricht Sven Regener erneut alle Rock ‘n’ Roll-Gesetze (Macht sonst ja eher Olli Schulz), denn er erklärt – und das macht er heute Abend sehr oft und ausführlich -, dass man als Band den größten Hit immer als erste Zugabe spielen sollte. Heute hört man das Lied über ein Dorf bei Bremen gleich an dritter Stelle. Wunderschön. 

Sven Regener ist ein Fuchs, er kann sich die Freude an seinem Tun nicht verkneifen. Mag er beim einen oder anderen öffentlichen Auftritt wütend oder als arroganter Querkopf erscheinen, vergessen selbst Kritiker all die Schimpferei, wenn er seine Lieder singt. Seine “Wutrede” zum Thema Urheberrecht vor knapp einem Jahr kursierte in den Medien, ließ das wichtige Thema aufflammen. Diese Wut erfachte sich während eines Radiointerviews bei Zündfunk, die das heutige Konzert in München präsentieren. Sicher ist Sven Regener das Zentrum, da er als Sänger, Texter und Sprachrohr auch die größte Bekanntheit innehält, während er von ebenso genialen Musikern umgeben ist. Die Coolness in Person stellen für mich die Seitenflügel dar: Ein lässiger Jakob Ilja begeistert mit gekonntem Gitarrenspiel – er setzt die feinen Melodien auf Regeners straight gespielte Akkorde. David Young auf der anderen Seite zupft mit geschlossenen Augen im karierten Hemd den Bass, singt manchmal leise mit. Er produziert zudem die Element of Crime-Scheiben und gilt für mich als Ruhepol der Band, Sven Regener haut auf den Putz. Ist ja schließlich noch eine Rockband. Und da dort auf den Putz gehauen wird, verschüttet Regener sogar Bier und nimmt sich nicht raus, die Band ein wenig zu führen. Er ist ein Dirigent. Wenn nicht Schlagzeuger Richard Pappik einzählt, bremst er gern die Band aus, da er “Erstmal muss ich was sagen!” sagen muss. Alle verstehen das, er teilt gern etwas mit. Meistens etwas, worüber man gern nochmals nachdenkt oder eben kurz grinsen muss. Still genießen kann zum Beispiel das Pärchen neben mir nicht, die regelmäßig laut auflachen und wirklich hundsmiserable Videos mit dem Smartphone produzieren. Ich würde schon aus diesem Grund dem guten Herrn nicht nur aus Störungsgründen das Gerät aus der Hand schlagen, sondern ihn auch dezent auf die nicht vorhandene Qualität hinweisen. Ich frage mich, ob das irgendjemand danach noch anguckt. Ich gucke die Konzerte lieber mit meinen Augen – und sehe eine Band, der man heute nichts anhaben kann.

Eigentlich kann man Element of Crime nie etwas anhaben. Nachdem Regener das mit den Liedwünschen schon ganz am Anfang klargestellt hat und auch gar nicht auf die provozierenden, wenn auch nett gemeinten Rufe eingeht, überraschen sie mit einem doch sehr speziellen Set voller alter Nummern. Man kann sich nicht beschweren, denn diese Lieder werden sie kaum öfters spielen – auch wenn ich wirklich sagen muss, dass ich mich über mehr Neues (!) und mehr Hits gefreut hätte. So fehlte für mich vor allem Bitte bleib bei mir, Straßenbahn des Todes, Vier Stunden vor Elbe 1 oder auch Immer unter Strom. Aber recht machen kann man’s ja niemandem. Habe mir zudem sagen lassen, dass ‘Elbe 1′ wohl nur in Hamburg gespielt wird. Nightmare als Hommage an einen verstorbenen Kollegen der Band, der dieses Lied immer als größten Hit von Element of Crime bezeichnete. Die Band zeigt ebenfalls Gefühle und spielt den düsteren Song – für mich auch einer der Songs, der für die auffallend vielen englischsprachigen Titel im heutigen Programm steht. Oben genannter Mitfilmfaktor meiner Nachbarn wird im Saal beinahe vertausendfacht, als klar wird, was Element of Crime zur ersten Zugabe spielen. Die Wahl fällt wohl auf ihren zweitgrößten Hit, dem traurigschönen Lied Weißes Papier und bereits mit dem Wechsel zum roten Licht und der spärlich beleuchteten Bühne wird mein Körper zu Stein. Während für mich persönlich Am Ende denk ich immer nur an Dich, das die Band kurz vor Ende des Hauptsets spielte, das neue Weißes Papier ist, da es für mich ähnliche Gefühle hervorruft und der Beleg für aktuelle Werke von Element of Crime ist, die mit einem perfekten Text brillieren, bohrt Sven Regener nun tiefer. Manchmal ist Livemusik oder dieser eine Konzertmoment für einen Augenblick das intensivste Gefühl auf Erden. Heute habe ich bei Weißes Papier diesen Moment, wenn Sven Regener immer energischer vom Schmerz einer gescheiterten Beziehung berichtet. 


Generell dreht sich bei Element of Crime viel über die Liebe. So ausführlich, treffend und mit dem richtigen Grad an Schmerz kann nur Sven Regener “Nicht mal das Meer darf ich wiedersehen, wo der Wind deine Haare vermisst. Wo jede Welle ein Seufzer und jedes Sandkorn ein Blick von dir ist. Am liebsten wär’ ich ein Astronaut und flöge auf Sterne wo gar nichts vertraut und versaut ist durch eine Berührung von dir.” singen. Würde ich auf Konzerten weinen, hätte ich es spätestens jetzt getan. Niemand hätte es mir übel genommen. Sven Regener als Beweis für seine genialen Texte zu zitieren, fühlt sich immer noch seltsam an, da es absolut nicht nötig ist. “Und so ist das.” – wie Sven Regener mit Bring den Vorschlaghammer mit wortwörtlich den Saal ausfegt und die Leute in die Nacht entlässt. Als ich ein paar Tage später gefragt werde, wie es denn so war, bekomme ich kein Wort raus. Muss diese Überwältigung sein.

Setlist Element of Crime, Freiheiz, München:

01: Mittelpunkt der Welt 
02: Deborah Müller 
03: Delmenhorst 
04: Akkordeon 
05: I started a joke 
06: Almost dead 
07: Kaffee und Karin 
08: Fallende Blätter 
09: Zwei Gitarren 
10: Nightmare 
11: No home 
12: Jetzt musst du springen 
13: Am Ende denk ich immer nur an dich 
14: Seit der Himmel 
15: Immer da wo du bist bin ich nie 
16: Weißes Papier (Z)
17: Surabaya Johnny (Z) 
18: Blaulicht und Zwielicht (Z) 
19: Moonlight (Z) 
20: Bring den Vorschlaghammer mit (Z)

Links:

- aus unserem Archiv:
- Element Of Crime, Trier, 10.12.11
- Element Of Crime, München, 18.09.09


2 Kommentare :

zoulwags hat gesagt…

Immerhin hat das Pärchen nur gelacht und gefilmt. Ich hatte auf meinem letzten Element-of-Crime-Konzert im Mannheimer Capitol das Vergnügen eines jungen Herren neben mir, der aus Gründen der Balz die meisten Lieder in Richtung seiner weiblichen Begleitung mitsang. Inklusive "Weißes Papier". Horror.

Andreas hat gesagt…

Ich war vor ein paar Wochen in Frankfurt beim allerersten Konzert dieser Tour und es war wirklich unfaßbar gut, nicht nur die Texte, sondern besonders auch musikalisch.

 

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