Sonntag, 5. Mai 2013

Veronica Falls, Stuttgart, 04.05.2013

Konzert: Veronica Falls
Vorband: Mazes
Ort: Kulturzentrum Merlin, Stuttgart
Datum: 04.05.2013
Zuschauer: vielleicht 200
Dauer: Veronica Falls 53 Minuten / Mazes 40 Minuten




Kunstnebel steigt auf, die Bühne wird in bläuliches Dämmerlicht getaucht, als Roxanne Clifford (Lead-Gesang, Gitarre), James Hoare (Gitarre und Gesang), Patrick Doyle (Schlagzeug und Gesang) und Marion Herbain (Bass) die Bühne betreten. So gut besucht wie heute habe ich das Merlin im Stuttgarter Westen bisher noch nicht erlebt. Veronica Falls verdienen Zuschauer und bekommen sie. Unverdienterweise sind die jungen Engländer und ihre französische Bassistin noch keine Stars, zum Kritikerliebling reichte es immerhin und die Fanbase scheint auch stetig zu wachsen, wenig verwunderlich, betrachtet man die beständige Klasse des Nachfolgewerks „Waiting for something to happen“.

Die alternative Rockmusik der 1980er scheint seit einigen Jahren die dominierende Referenz im englischen Indie zu sein. Bands wie die Editors, We Have Band oder eben Veronica Falls greifen vorhandene Schemata auf und versuchen etwas eigenes daraus zu kreieren. Im Fall der Editors resultierten zweieinhalb erstklassige Alben daraus, während We Have Band gähnende Langeweile verbreiten. Veronica Falls machen es da schon besser, hier finden sicher weder nervige Discobeats noch plakatives Joy-Division-Epigonentum wie bei den White Lies. Vielmehr sorgt ein berauschender Cocktail aus The House of Love und The Shop Assistants und ein wenig The Cure für ein wohliges Bauchgefühl und beglückende Momente, ganz besonders dann, wenn darüber hinaus wie bei Erland and the Carnival harmonierende Tugenden des englischen Folks beschworen werden. Doch dass kein name dropping Veronica Falls wirklich gerecht werden kann steht auch fest.

Tell me“, der erste Track des im Januar veröffentlichten, aktuellen Albums, ist der Opener des Konzerts, mit dem die vier um 22.09 das Konzert beginnen. Zuvor spielten Mazes aus Manchester ein 40-minütiges Supportset. Der stumpfe Indie-Rock, mit deutlichen Noise-Anleihen, des Trios vermochte mich nicht zu packen. Gefühlte zehn Minuten wurden manche Songs nicht sonderlich versiert in die Länge gezogen. Erst das letzte Stück konnte mein Interesse ein wenig wecken, während ich feststelle, dass Mazes an eine höflichere, englische Version der Esslinger Band Die Nerven erinnern. 

Wie eine Wohltat wirken daraufhin die verträumten Harmoniechöre Hoares, Doyles und Roxanne Cliffords. In Jeansjacke und entsprechender Hose steht der Gitarrist mit der Adam-Green-Julian-Casablancas-Frisur in der Bühnenmitte, während Roxanne Clifford und Bassistin Marion Herbain in geblümten Sommerblusen und Kleidern eine gute Figur machen. 


Die Engländer reißen euphorisch Bierflaschen in die Luft, ich hole Luft, genieße dann den Augenblick. „My Heart Beats folgt mit seinem Feedback-Intro und dem wunderbaren Schlagzeugeinsatz. Der versetzte Gesang funktioniert live ausgesprochen gut, Roxanne haucht den Text, Hoare und Doyle antworten stimmig. Ähnlich wie bei The XX liegt eine entscheidende Stärke dieser Formation in der Mehrstimmigkeit.

Hoare zieht seine Jeansjacke schon früh im Konzert aus, präsentiert im weißen, angerissenen T-Shirt seine The Beatles – Tattoo, während er und seine Band eine unglaublich beglückende und kurzweilige Show bieten.
Der vermutlich bekannteste Song des Debütalbum, „Beachy Head“, gerät mit seinen Surfer-Gitarren und dem treibenden Beat live noch härter als in der Studioversion mit dem schönen Video, dass es mit „Broken Toy“ einen ruhigeren Gegenpol im direkten Anschluss gibt, zeigt die Ausgewogenheit der Setlist. „Es ist nämlich gleichgültig, ob man wegen einer zerbrochenen Puppe weint, oder weil man, später einmal, einen Freund verliert.“, schrieb Erich Kästner in „Das fliegende Klassenzimmer“ und auch Veronica Falls verwenden in diesem Song ähnliche Gedanken. Die innere Gebrochenheit eines Menschen im Bild des zerbrochenen Spielzeugs zu äußern ist sicherlich nicht sonderlich subtil, wohl aber gelungen und treffend. Überhaupt zieht sich eine zutiefst melancholische, doch stets romantische Note durch das noch junge Gesamtwerk der Band. Ein gutes Beispiel dafür ist sicherlich „Bad Feeling“ vom zwei Jahre alten Debütalbum, das es direkt nach „Waiting For Something To Happen“ zu hören gibt.„Found Love In A Graveyard“ mit seinem düsteren Beginn und dem poppigen Ende taugt als Schlüsselsong, wenn man versucht die Musik der Band zu beschreiben. Die depressive Todesromantik, wie man sie bei The Cure und Tim Burton findet, trifft auf folkige Momente und beseelte Chöre. Für mich bleibt die erste Single das glänzende Lied einer aufstrebenden Band mit Händchen für außergewöhnlichen Pop und große Melodien, wie auch „If You Still Want Me“ mit seinem an einem förmlich vorbei schwimmenden Refrain.




Dass nur noch vier Songs („Buried Alive“, „Wedding Day“, „Teenage“, „Come On Over“) folgen sollten, war nach Christophs Bericht aus München zu erwarten. Trotzdem ist es schade, wenn fantastische Livebands kurze Sets spielen.

Nach nur einer Zugabe „Right Side Of My Brain“ soll dann scheinbar schon Schluss sein. Man sieht die Bassistin und den Schlagzeuger bereits am Merchandisestand, doch dann erscheinen Hoare und Clifford erneut auf der Bühne und rufen ihre Kollegen zurück. Eine Perle des Debütalbums, „Stephen“, soll noch folgen, danach endet ein erstklassiges, aber viel zu kurzes Konzert mit einer verzichtbaren Vorband nach etwas 50 Minuten. Ich bin glücklich und froh darüber, dass das Merlin immer wieder auch ein geschicktes Händchen für internationale Acts beweist. Und Veronica Falls? Müsst ihr euch anschauen, wann immer sich Möglichkeiten bieten. Bestimmt einmal auf einem Festival oder in einem geschmackvollen Club irgendwo bei euch in der Nähe, außer ihr wohnt in Nordrhein-Westfalen oder Hessen (Christoph berichtete).
 




Setlist, Veronica Falls, Stuttgart:

01: Tell Me
02: My Heart Beats
03: Beachy Head
04: Broken Toy
05: Waiting For Something To Happen
06: Bad Feeling
07: Found Love In A Graveyard
08: If You Still Want Me
09: Buried Alive
10: Wedding Day
11: Teenage
12: Come On Over

13: Right Side Of My Brain (Z)

14: Stephen (Z)

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