Dienstag, 4. Juni 2013

BootBooHook Festival - Ein Nachruf



Eigentlich wollte ich nicht nach Hannover“, eines der ungewöhnlichsten Liebeslieder der deutschen Popmusik, von Bernd Begemann, war letztes Jahr so etwas wie das Motto unserer Fahrt auf das BootBooHook-Festival in der niedersächsischen Hauptstadt.
 
Mit Atmosphäre, sympathischer Ausstrahlung und einem Line-Up, das auf deutschen Festivals – mit ganz wenigen Ausnahmen – seinesgleichen sucht, verzauberte mich das BootBooHook, in großen Teilen ins Leben gerufen vom Hamburger Indie-Label Tapete Records und dem lokalen Kulturzentrum Faust, in jeder Hinsicht. Während Festivals in der Regel mit jeder Menge Stress und Ärger verbunden sind, spürte man im Kronsbergpark, auf dem einst die Expo stattfand, zu keiner Zeit etwas anderes als Entspannung und Begeisterung über perfekte Rahmenbedingungen. 

Schon im August freute ich mich auf das nächste, auf dieses Jahr. Doch es wird keine Neuauflage geben, die BootBooHook GmbH musste gestern Insolvenz anmelden, Deutschland verliert sein schönstes Festival – und das blasse Hannover ein – nicht nur popkulturelles – Aushängeschild. 
Nachdem es mehrere Auflagen auf dem Faust-Gelände im Stadtteil Linden gab, musste man aus verschiedenen – durchweg nachvollziehbaren – Gründen eine neue Veranstaltungsfläche finden. 
Der Kronsbergpark eignete sich hervorragend, Platz en masse, ein natürliches Flair und eine gute Verkehrsanbindung. Eigentlich stimmte alles, nur nicht die Besucherzahlen. Hier und da hörte man im vergangenen Jahr den ein oder anderen in unangemessener Wortwahl Kritik am notwendigen Umzug äußern. Nach dem Motto „Früher war alles besser“, gab man der dreitägigen Veranstaltung mit der niedlichen Eule als Maskottchen keine wirkliche Chance.

Dabei arbeiteten alle Verantwortlichen mit akribischer Leidenschaft am Gelingen des BootBooHooks: Unvergessen in Erinnerung wird mir Dirk Darmstaedter, Labelchef und Mitveranstalter, bleiben, der fröhlich lächelnd das Programmheft mit den grandiosen Bandbeschreibung Francesco Wilkings verteilte. Guter Laune, obwohl damals wohl schon klar war, dass das BootBooHook-Festival 2012 ein finanzieller Misserfolg war, zeigte sich der ehemalige Frontmann der Jeremy Days stellvertretend als Gesicht dieses Festivals, dieses Dockvilles in gut. 
 
Ich bin beschämt, lese ich in Kommentaren auf der Facebook-Seite des Festivals, man habe sich übernommen, hätte ein klassisches Indie-Festival kommerzialisiert. „Ausverkauf“, skandieren da Leute, die sicherlich nur wegen der großen Namen auf ein Festival fahren würden. 
 
Es waren die Kleinigkeiten, die das BootBooHook so liebenswert machten; der Soul-Frühshoppen mit Carsten Friedrichs von Superpunk, die nächtliche Silent Disco oder aufgestellte Liegestühle. 
Jahr für Jahr gelang es den Veranstaltern darüber hinaus ein eindrucksvolles Programm zusammenzustellen. Die hochklassigen Acts aus dem Tapete-Kosmos treffen auf etablierte Künstler wie Tocotronic oder Of Montreal, die im vergangenen Jahr einen exklusiven Festivalauftritt lieferten. Aufstrebende Acts wie die Japandroids, Raritäten wie Palais Schaumburg... Das letzte Deutschland-Konzert Superpunks...Kritikerlieblinge wie Ja, Panik, Dear Reader, Jens Friebe und Locas in Love. Angesagte Bands der Stunde wie Me And My Drummer oder Headliner BOY. Welches Festival beweist in Deutschland - abgesehen vom PhonoPop, Haldern Pop oder Maifeld Derby - einen derart exquisiten Geschmack? 


Dieses Jahr hätten internationale Größen wie Maximo Park und Black Rebel Motorcycle Club auftreten sollen, vielversprechende Newcomer wie Lukas Graham oder Jacco Gardner, die Supergroups Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen und Die höchste Eisenbahn
 
Es hat nicht sollen sein. Der Vorverkauf blieb weit hinter seinen Erwartungen zurück, doch den Veranstalter trifft keine Schuld.

Festivals in Deutschland und Europa boomen, entwickeln sich zu gigantomanischen Massenevents. Rock am Ring, Hurricane, Southside, Wacken. Die großen Namen vermeldeten den frühzeitigen Ausverkauf. In jeder Hinsicht. Nach der letzten Ausgabe stand mit Oma's Teich in Ostfriesland ein klassisches Indie-Festival vor dem Aus. In England wurde das hochkarätige Hop Farm Festival wegen kläglichen Vorverkaufszahlen abgesagt. Die Tendenz ist erschreckend und sollte nachdenklich machen. Das BootBooHook kann hier stellvertretend für den verzweifelten Versuch in eine zu schnell wachsende Branche mit dem Augenmerk auf qualitative Musik, auf die Künstler zu entschleunigen. Dass dieser Kampf verloren ging, ist so alarmierend wie traurig. 
Ich bleibe ratlos zurück, kann das Ende immer noch nicht fassen.


Eigentlich reizte mich Hannover tatsächlich nie. Für das BootBooHook wäre ich trotzdem immer wieder gerne gekommen.
Einen Tag nach dem Ende kann ich nur mein Bedauern, meine Trauer aussprechen, mich für die Leidenschaft, die Arbeit mit Herzblut bedanken. Danke Heiko Heybey, Danke Dirk Darmstaedter, Gunther Buskies, Danke Tapete Records! 
Jedem, der das Festival besuchte, bleibt es unvergessen. Wer letztes Jahr dabei war, weiß, dass der Umzug nur ein finazieller Fehltritt war, der der Qualität aber keinen Abbruch tat.
Ihr wart großartig!



* Bilder vom BootBooHook 2012

2 Kommentare :

zoulwags hat gesagt…

Spricht mir voll aus dem Herzen. Danke für diesen schönen Text, der noch mal ein paar bereits verblassende Erinnerungen wachgerufen hat (z. B., dass Dirk Darmstaedter selbst die Programme verteilt hat, hatte ich total vergessen). Es ist wirklich unglaublich traurig, dass ausgerechnet dieses Festival so scheitern muss. Ich war die letzten drei Jahre dort, und es war jedes Mal grandios.

Andreas hat gesagt…

Unterschreibe ich jedes Wort. Und ganz besonders das:

"Das BootBooHook kann hier stellvertretend für den verzweifelten Versuch in eine zu schnell wachsende Branche mit dem Augenmerk auf qualitative Musik, auf die Künstler zu entschleunigen. Dass dieser Kampf verloren ging, ist so alarmierend wie traurig."

Ich habe das BootBooHook erst letztes Jahr kennen und direkt lieben gelernt. Was für ein tolles, liebenswertes Indie-Festival in der Nachbarschaft (komme aus dem Nordwesten), dachte ich mir! Was für eine Scheiß, dass mein erstes auch mein einziges BBH war.

 

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