Freitag, 11. Oktober 2013

Boho Dancer, Leipzig, 10.10.13


Konzert: Boho Dancer
Ort: Noch besser Leben in Leipzig
Datum:10. Oktober 2013
Dauer: 80 Minuten
Zuschauer: 40-50

Meine Band im Jahr 2012 war Boho Dancer. Heiß verliebt hatte ich mich in die EP Furry skin. DAS Highlight meines Jahres war dann natürlich ihr kurzfristig improvisiertes Wohnzimmerkonzert bei uns. Eine Sternstunde meines Konzertgängerlebens auf so vielen Ebenen! Seitdem sind elf Monate vergangen. Ich sah sie wie Schiffe am Horizont kreuzen. Konzerte geben in London, Festivals spielen, ihre erste "richtige" Platte herausbringen und promoten. Als die Deutschlandtour für den Oktober angekündigt wurde, gelang es mir aber leider nicht, sie in einer Karlsruher Location unterzubringen. So haben wir uns nun also in Leipzig verabredet. Es wurde aber auch Zeit!



Ort der Handlung das Noch besser leben in Plagwitz. Dort wo - nachdem die schick renovierten Villen in Pleißenähe in die schick renovierten Gründerzeithäuser übergegangen sind - man schließlich bei den weitestgehend im Original erhaltenen Gründerzeithäusern der Peripherie ankommt. Die Bühne ist in einem Erkerzimmer mit Stuck und Kronleuchter an der Decke im ersten Obergeschoß so eines Hauses - charmant aber auch etwas angeranzt. Der Boden schunkelt bei jedem Schritt mit.




Als ich kurz vor 21 Uhr ankomme, ist der Raum locker gefüllt, ich kriege einen Platz direkt vor den Musikern, aber es geht natürlich noch eine Weile nicht los. Der überpünktliche Abend in der Hafenbar war wohl doch eine große Ausnahme... Tatsächlich füllt sich dann aber der Raum auch noch richtig bis in die Winkel und als kurz nach halb zehn die drei Musiker von hinten durchschlüpfen, ist eine gespannte Aufmerksamkeit in der Luft. 


Ida Wenøe - Gitarre und Gesang
Símun Mohr - Bass, Gitarre und Gesang,
Asker Bjørk - Drums, Gitarre und Gesang



laden uns im ersten Song ein Loose yourself - dem folge ich gern. Bohemian Child ist sowieso so ein Lieblingslied von mir. Tänzelnder als auf der EP ist das Me & your god und doch trotzdem eine sehr dunkle und trotzige Nummer. Das Stück mündet in ein Finale das nur Gesang und Schlagzeug enthält. Das ist gleichzeitig sehr intensiv und dabei warm und kraftvoll - längst nicht so abgündig wie auf dem Tonträger.

Im dritten Song gibt es tatsächlich einmal so etwas wie ein Duett! Die Jungs sind ja beide tolle Backgroundsänger für die meisten Songs. Aber der Wechsel zwischen Ida und Símun ist hier ein richtiges Aha-Erlebnis. Ich glaube, das sollten sie öfter mal einbauen. Natürlich ist Gemini, der Titeltrack ihres aktuellen Albums ein Song ganz nah am Herzen der Band und wird auch an diesem Abend entsprechend intensiv vorgetragen. Er hat auch diese catchige Melodie, die man noch später unversehens vor sich hinsummt.
 

Danach gibt es eine Überraschung, denn Ida setzt sich ans Klavier. Zu ihrem abgründigsten Lied muss sie aber ein zweites Mal ansetzen, weil die Stimme nicht so mitspielen will. I want to take off my skin bringt sie anschließend erschreckend glaubwürdig rüber. So viel Verzweiflung und Abgrund in der Darbietung nur mit Stimme und Klavier!



Vor Martin wünscht sich Ida dann erst einmal etwas starkes von der Bar für die Stimme. Immer wieder mal merkt man in den kommenden Songs, dass sie nicht so verlässlich so sitzt wie sie soll, wenngleich mich auch unter den erschwerten Bedingungen fasziniert, wieviel Energie und Lautstärke diese kleine Frau auf der Bühne zeigt. Das Mikro ist da zwischendurch immer mal überflüssig. Sie tritt dann zurück, um richtig emotional abzugehen. 




Für den nächsten Song gibt es zunächst Geisterstunde mit Hilfe des gestrichenen Bass' und Spielereien von Asker an der E-Gitarre. Auf diesem flirrenden Horrorteppich setzt der Gesang auf. Aber alles entlädt sich erst richtig, als nur noch Basstrommel und Satzgesang zu vernehmen sind. Ein echter Gänsehautmoment.

Für Caldera muss das Gitarrenkabel erst ausgewechselt werden. Das tut aber der guten Laune der Musiker keinen Abbruch - tänzerisch setzt diese Nummer mal einen sehr positiven Akzent.

Das wird dann im nächsten Song gleich wieder umgedreht. Man spürt förmlich die emotionale Beklemmung bei der  wieder und wieder erzählten Situation, dass sich das Ich des Liedes die Treppe hinuntergedrängt fühlt, um dort - tief unten - sich selbst zu begegenen wie sie sich nicht sehen möchte.  Und als Ida am Ende immer wieder fragt und schließlich hinausschreit: Do you like me?  da kann sich wohl kein Zuhörerherz verschließen.

Im Good vibrations geht es ähnlich selbstzweiflerisch zur Sache: I am too loud; und im Song Pistols gipfelt es in der Zeile maybe I am not worth fighting for. Die Band schafft den Spagat, uns schunklerisch mitsingen zu lassen und dann vor uns die Welt untergehen zu lassen während wir eiapopeia singen. Ein wahnsinniges Finale des Programms.



Nachdem das langanhaltende Klatschen richtig als Wunsch aufgelöst wurde, dass wir noch eine Zugabe möchten, gibt es eine akustische Version von Fictional reasons, die mich innerlich wieder ganz bei unserem gemeinsamen Wohnzimmerkonzert ankommen lässt. Wie schön! Und die drei Stimmen, Gitarre, Mini-Gitarre und Bass füllen den Raum auch ohne PA spielend. Und tatsächlich können sie auch fröhliche Musik...

Weil es so schön war, wünschen wir uns gleich noch so etwas und die überglücklichen Musiker lassen sich nicht lumpen. Kurz vor elf ist dann ein zauberhafter Abend zu Ende und ich bin sehr froh, dass ich mich auf den weiten Weg gemacht habe.



Ich habe jetzt auch endlich verstanden, warum Leipzig als das neue Berlin gehandelt wird - auch hier wird nämlich das Rauchverbot geflissentlich übergangen. Aber ein großer Unterschied ist, dass - wo einen ein Berliner nur schroff anblaffen würde, alle Leipziger, die ich um Rücksicht bat, zwar etwas verblüfft aber doch im Großen und Ganzen auch sehr freundlich woanders weitergeraucht haben.


Setlist:
1: Bohemian child
2: Me & your god
3: Like rain
4: Gemini
5: Waiting on a summer (never to come)
6: Martin
7: Epicene
8: Caldera
9: The clerk
10: Good vibrations
11: Pistols

12: Fictional reasons (Z)
13: Your only (Z)


Aus unserem Archiv:

Boho Dancer in Karlsruhe am 14. November 2012
EP Furry Skin bei Platten vor Gericht
Interview bei Nothing but hope and passion 2012


Mehr Fotos:




 

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