Mittwoch, 8. Januar 2014

Trümmer, Hamburg, 01.01.2014


Konzert: Trümmer
Ort: Eine Künstler-WG in einem Künstlerhaus in Hammerbrook, Hamburg
Datum: 01.01.2013
Dauer: 47 Minuten
Zuschauer: >50


Foto wurde uns von Trümmer zur Verfügung gestellt.
 „Nehmt euch, eure Wünsche ernst und nehmt eure Träume ernst. Das ist das allererste Signal, das wir schicken wollen. Wischt nicht alles mit 'nem Witzchen weg, ironisiert euch selber nicht weg.“ Während des Haldern-Pop-Festivals, erklärt Paul Pötsch – Sänger, Gitarrist und Texter der Hamburger Gruppe Trümmer – in einem WDR-Interview die Haltung seiner Band. Überhaupt kreist die Lyrik des 22-Jährigen vehement um ernste Themen, diagnostiziert die Befindlichkeiten seiner Generation und die Probleme dieses Landes, rüttelt auf – und das ohne zu appellieren. Damit schreitet das Trio über ähnliche Pfade wie die politisch versierten musikalischen Vorreiter, dessen, was Musik-Journalisten einst Hamburger Schule tauften, und zu der sich öffentlich vermutlich ausschließlich die englischen Meister des pointierten Indie-Pops, Art Brut, zählen wollen („We are Hamburg school“). Trümmer setzen da an, wo die frühen Blumfeld um Jochen Distelmeyer einst erste Erfolge feierten und warten mit einer Ironiefreiheit auf, die sie von anderen deutschen Bands dieser Zeit abhebt. Ein Attribut das Trümmer in einer durchironisierten, von Yuppies der 90er und Hipster der 10er Jahre geprägten Popkultur zur Blaupause neuen endlich wieder einmal politischen Indie-Pops werden lässt. Live erzeugen Pötsch und seine Mitstreiter Maximilian Fenski (Schlagzeug) und Tammo Kasper (Bass) dazu tatsächlich eine rohe Energie zwischen frühem Punk und 00er-Jahre-Garagen-Gitarren a la Strokes und Libertines, deren Dandytum angenehm adaptiert wurde. 


Schon im Februar letzten Jahres während des KOMMA Winterfests in Esslingen von Trümmer überzeugt, bin ich in den frühen Stunden dieses Jahres überwältigt. In einer Künstler-WG im Hamburger Stadtteil Hammerbrook startet 2014 mit einem buchstäblich ekstatischen Konzert der Gruppe: Um 00.40 Uhr stehen Pötsch, Fenski und Kasper zwischen Plastikbechern und Schnapsflaschen auf der improvisierten Bühne neben dem Plattenteller eines DJs im rechten Eck des Wohnzimmers einer loftartigen Wohnung. 
In Anzügen und Hemden wirkt das alles stilvoll. „Schutt und Asche“, es geht los. Im Publikum kennt man sich, Trümmer sind im Szenebild fest integriert. Die Intensität eines Konzerts an der Quelle ist immens, Kasper pendelt vor und zurück, Fenski drischt hart auf sein Instrument ein, während im ganzen Raum getanzt wird. „Und die Welt macht keinen Sinn“, skandiert Pötsch in „Macht“
Songs und Performance sind stimmig, die Qualität des bald erscheinenden Debüt-Albums lässt sich erahnen. Aufgenommen in einem Bauernhof irgendwo in der norddeutschen Provinz, kann man fest davon ausgehen, dass die rohe Live-Energie auch auf Platte generiert werden kann. Tocotronic platzierten in ihrem letzten Album in seinem stärksten Song das Schlagwort „Revolte“ prominent. Dass der gleichnamige Song Trümmers ebendiesem das Wasser reichen kann, soll an dieser Stelle als Gütesiegel festgehalten werden. Kritiker der Band mögen all das prätentiös finden. Das aber muss keineswegs negativ ausgelegt werden. Tocotronic leben davon, Kraftwerk werden seit einiger Zeit  für den denkbar prätentiösesten Akt zurecht gefeiert – nämlich den der musealen Retrospektive, während man doch auch einfach auf Greatest-Hits-Tour gehen könnte. 


„Straßen voller Schmutz“ werden besungen und im Kontext der jüngsten Ausschreitungen auf der Schanze und der Einrichtung so genannter Gefahrenzonen ebendort und auf St. Pauli scheinen die Trümmer-Songs der ideale Soundtrack dieser Tage zu sein. "Unsere Lügen sind wahrer als das, was ihr uns auftischt!"  
„Testament der Angst“ nannten Blumfeld eines ihrer herausragenden Alben. „Diktatur der Angepassten“ war der Schlüsselsong. Pötsch scheint sich seinen Distelmeyer zu Herzen genommen haben und transformiert die gewichtige Attitüde in die Gegenwart. Dass die derzeitige Single mit der Doppel-A-Seite „Der Saboteur“ / „In all diesen Nächten“ gefeiert wird, ist da nur folgerichtig. 
Die SPEX, deren Leser Trümmer auf den vierten Platz der Newcomer 2013 wählten, jauchzt in höchsten Tönen. Letztes Jahr trat man mit Dinosaur Jr. und Casper auf. Der sichere Hype um Trümmer steht in den Startlöchern.  Im vergangenen Festivalsommer wurde man in Haldern oder auf dem Melt! gefeiert, das Konzert im Künstlerhaus macht deutlich, dass 2014 vermutlich ähnlich erfolgreich wird. 
Spätestens als schließlich „Der Saboteur“ und „In all diesen Nächten“, die bisher einzigen im Netz verfügbaren Songs, entschlossen kredenzt werden, aus vielen Mündern mitgesungen wird, Fäuste in die Luft steigen, wird klar, dass der Aufstieg Trümmers zur Band, deren Relevanz allgemein anerkannt wird, kaum gestoppt werden kann. „In all diesen Nächten sind wir nicht brav sondern schlimmer.“ Paul Pötsch, Maximilian Fenski und Tammo Kasper verneigen sich, „Es ist 2014, Mann. Frohes Neujahr, Freunde!“, das war's. Frenetischer Beifall des Publikums. „Morgensonne“ als Zugabe, freundschaftliches Schulterklopfen mit Freunden, die Energie breitet sich aus, das Signal kam an, während mein Konzertjahr mit einer kleinen Perle beginnt. 


Setlist Trümmer, Hamburg:

01: Schutt und Asche
02: Macht
03: Revolte
04: Wo ist die Euphorie?
05: Straßen voller Schmutz
06: Die 1000. Kippe
07: Der Saboteur
08: 05:30
09: Scheinbar
10: Welten in uns
11: In all diesen Nächten

12: Morgensonne (Z)


Links:
- aus unserem Archiv:
- Trümmer, Frankfurt, 12.02.2013
- Trümmer, Feldkirch, 15.08.2013

Tourdaten:

14.01.2014, Dresden, Scheune
15.01.2014, Kassel, Schlachthof
16.01.2014, Düsseldorf, FFT
17.01.2014, Stuttgart, Kulturzentrum Merlin





















 

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