Dienstag, 18. März 2014

Thees Uhlmann & Band, Frankfurt, 11.03.2014


Konzert: Thees Uhlmann & Band
Vorband: Intergalactic Lovers
Ort: Neue Batschkapp, Frankfurt am Main
Datum: 11.03.2014
Dauer: Thees Uhlmann 105 Minuten / Intergalactic Lovers 41 Minuten
Zuschauer: einige hundert (nicht ausverkauft)




Mit erstaunlicher Kontinuität arbeitet Thees Uhlmann an seinem Image als norddeutsche Antwort auf Bruce Springsteen. Der Anspruch zeigt sich einerseits in den Songs, der Art Komposition, den offensichtlichen Textbezüge und ähnlichen Themen. Weitaus deutlicher offenbart sich das Vorgehen aber in der Live-Präsentation: Schwitzend, freudestrahlend, immer an der Grenze zur völligen Verausgabung wirbelt der Mann, der einst mit Tomte verkopften Indie-Rock fabrizierte, über die deutschen Clubbühnen, gefällt in springsteenesker Art mit einer Anekdotenplauderei, wie sie nur einem Epigonen gelingen kann, der die großartige Box Live/1975-1985 eingehend kennt, den Boss selbst häufig sah. Wie gut Uhlmann das gelingt, zeigt sich auch im Publikum seiner Konzerte, das besteht nämlich nicht nur aus der alten Tomte-Garde und Casper-Fans, nein, auch die besonders leidenschaftliche deutsche Anhängerschaft Springsteens ist immer häufiger auf seinen Konzerten anzutreffen. So deutlich aufgefallen wie bei meinem ersten Besuch in der neuen Batschkapp in einem ehemaligen Fabrikgebäude in der Nähe des Hessencenters, ist es mir allerdings noch nie. Dass diese gesetzte Zuhörerschaft später auch die uhlmann'schen Geschichten aus der Provinz zwischen Stade und Cuxhaven mitsingt, dürfte für dem Fan in Thees Uhlmann einer besonderen Würdigung gleichkommen. 

Es ist mein erster Besuch in der neuen Batschkapp. Der Originalclub gehörte vor meinem studienbedingten Umzug nach Stuttgart für mich und viele andere im erweiterten Rhein-Main-Gebiet mit seiner bewegten Geschichte, seiner einmaligen Atmosphäre und jeder Menge großartiger Konzerte, die man in dieser Art zum Teil nur dort erleben konnte (man denke an Billy Bragg in Iggy-Pop-Manier 2008 oder eines der raren Deutschland-Gastsspiele der wahrlich legendären New York Dolls 2009), zu den prägendsten Konzertorten mit beeindruckender Tradition. Dem Umzug von Eschersheim in die Gwinnerstraße stand ich entsprechend kritisch gegenüber. Nostalgie und ikonische Clubs sind wichtig, doch zeigt sich der erste Vorteil bereits bei der Anfahrt. Während es rund um die alte Batschkapp kaum möglich war zu parken, bietet sich hier jede Menge Platz. Die intime und einmalige Atmosphäre jedoch weicht einer zwar stilvollen Halle mit mehr Raum und hohen Decken, verliert dabei aber den beengten, schweißtreibenden Charme einer legendären Spielstätte. Beim Betreten der Halle wird deutlich, dass ein nicht kleiner Teil mit schwarzen Tüchern abgehängt und auch die Empore geschlossen ist. 


Als die belgische Vorband Intergalactic Lovers die Bühne betritt, scheint der ausgewiesene Zuschauerbereich jedoch gut gefüllt. Wie erwartet kann das für die Tour zum Quintett gewachsene Quartett überzeugen. Die Eröffnung mit „Northern Rd.“ gerät mit seiner angedeuteten Wall of Sound wie auf dem Album zum perfekten Einstieg. Sängerin Lara Chedraoui punktet mit einnehmender Ausstrahlung zwischen der jungen Patti Smith und PJ Harvey und sympathischen Tour-Geschichten. Man sei Uhlmann dankbar, eingeladen worden zu sein und genieße vor allem die erstmalige Fahrt im Nightliner, erst recht, wenn keiner schnarche. Gastgitarrist und Keyboarder Philipp Weies aus Köln sieht ein wenig aus wie der junge Pete Townshend, spielt äußerst souverän und scheint eine echte Verstärkung der Band zu sein. 

Spätestens mit „Islands“, der ersten – heute Thees Uhlmann gewidmeten – Single, hat die, bei dessen Label Grand Hotel van Cleef veröffentlichende Gruppe, die Zuschauer für sich gewonnen. Besonders der vorletzte Song, „Delay“, gibt der Band die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten auszuspielen. Der Applaus nach „The Fall“ und knapp 40 vielversprechenden Minuten fällt entsprechend anerkennend aus.

Setlist Intergalactic Lovers, Frankfurt:

01: Northern Rd.
02: Shewolf
03: Great Evader
04: Islands
05: No Regrets
06: Obstinate Heart
07: Delay
08: The Fall



Anders als Konzerte seines Vorbilds aus New Jersey sind Auftritte des heutigen Protagonisten in der Regel weitgehend vorhersehbar, zumindest was die Songauswahl angeht, hier ändert sich selten Grundlegendes. Wie gewöhnlich empfängt einen das wabernde Electro-Intro, bevor die Band mit „Weiße Knöchel“ einsetzt. Das ernüchternde Bild des trostlosen Lebens eines SPD-Wahlkämpfers ist rührend-pathetisch und mitreißend zugleich. Uhlmann beschwört noch einmal den untergegangen Glanz des industriellen Ruhrpotts, wagt damit Themen anzugreifen, an denen man in Deutschland leicht scheitern kann. Doch anders als Wolfgang Niedecken gelingt Uhlmann der Spagat, sich kaum ins Deutsche zu transferierenden Handlungsmustern aus großen US-Folksongs anzunehmen und diese so zu verinnerlichen, dass seine Songs wirklich etwas zu sagen haben. 

„Das Mädchen von Kasse 2“, der Saal weiß, dass die Würdigung des Arbeitsalltag einer Schlecker-Kassiererin folgen wird, weiß, dass nun die Liebeserklärung mit der markanten Basslinie an der Reihe ist. Fäuste werden gereckt, es wird kollektiv mitgesungen. Uhlmann tänzelt mit wild-hektischen Bewegungen über die Bühne, während seine hervorragende Band um Keyboarderin Julia Hügel, Hubert Steiner am Bass, die Gitarristen Tobias Kuhn und Martin Kelly sowie Schlagzeuger Max Perner stadiontauglichen Rock spielt. 


Der Weg vom introvertierten Indie-Rocker hin zum Frontmann, der alle großen Gesten verinnerlicht hat, gelang Uhlmann in den letzten Jahren, ohne beliebig zu werden. Männer um die 50 mit Springsteen-Shirts nicken weitgehend rhythmisch mit dem Kopf, junge Mädchen strahlen und eine Frau mittleren Alters hinter mir fasst die allgemeine Stimmung der meisten Anwesenden schon früh im Set zusammen: „Thees ist einfach der Geilste.“ 

Natürlich kombiniert der gebürtige Hemmoorer, der "immer eine Britpop-Frisur wie Liam Gallagher" gewollt habe "und dabei aussah wie eine traurige Hausfrau aus Manchester", nur das was andere, was Springsteen international und Bernd Begemann – und teilweise auch Die Toten Hosen, deren „Liebeslied“ er heute akustisch spielt – national vorgemacht haben. Dabei kann er aber sein eigenes Charisma und seine immense Energie so geschickt einsetzen, dass es kein Wunder ist, dass er mittlerweile zu den Künstlern Deutschlands mit der größten hinterher reisenden Anhängerschaft zählt. Hin und wieder werden eben diese angesprochen, der Kontakt zwischen Musiker und Fans ist kumpelhaft eng, ein weiterer Grund für deren Treue. 

Dazu gibt es inzwischen populäre Songs wie „& Jay-Z singt uns ein Lied“, „Vom Delta bis zur Quelle“ oder „Am 7. März“, die mit einem ungemeinen Hitpotential ausgestattet sind und entsprechend gefeiert werden. Erwartungsgemäß berührt „Römer am Ende Roms“ mit dem "Thunder Road"-Mundharmonika-Intro, seinen intertextuellen Anspielungen und reinem Pathos besonders, „Es brennt“ hält das Niveau, „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ ist schon jetzt ein Klassiker und nach „17 Worte“ ist man – obwohl es doch schon vorher klar war – wie immer aufs Neue überrascht, dass das reguläre Set schon vorbei ist. 

Die rührselige Heimathymne „Lat: 53.7 Lon: 9.11667“ als erste Zugabe passt für mich heute Abend wie die Faust aufs Auge. Neben einem alten Schulfreund, den ich seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen habe, stehe ich im Nachfolger des wichtigsten Clubs meiner Jugend, bevor ich wieder zu meinen Eltern in das oberhessische Dorf meiner Kindheit fahre. Der Heimaturlaub in Lat: 50.3 Lon: 9.196944 bekommt in Frankfurt seinen passenden Soundtrack verpasst. „Du kriegst die Leute aus dem Dorf, das Dorf nicht aus den Leuten / Und ich weiß nicht wirklich, was soll es bedeuten.“, und so weiter, „hier komm ich her“
Mit „Die Toten auf dem Rücksitz“ endet das Konzert nach „Die Nacht war kurz (Ich stehe früh auf)“ und „Kaffee und Wein“ traditionell. Wie viele potentielle Hits diesem Mann, der sich für die Zugaben ein T-Shirt mit der Aufschrift "Bier kaltstellen ist auch irgendwie kochen" angezogen hat, mit Tobias Kuhn auf zwei Soloalben gelungen sind, ist schon bemerkenswert. 
Dann geht es nachhause auf der B521, bis ich irgendwann zu mir selbst sagen kann, "das ist meine Straße und das ist mein Haus". Nostalgie und Pathos tun manchmal doch ganz gut.



Setlist Thees Uhlmann, Frankfurt:

01: Weiße Knöchel
02: Das Mädchen von Kasse 2
03: Am 07. März
04: & Jay-Z singt uns ein Lied
05: Vom Delta bis zur Quelle
06: Zugvögel
07: Der Fluss und das Meer
08: Liebeslied (Die Toten Hosen-Cover)
09: Römer am Ende Roms
10: Es brennt
11: Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf
12: 17 Worte

13: Lat: 53.7 Lon: 9.11667 (Z)
14: Sommer in der Stadt (Z)
15: Die Nacht war kurz (Ich stehe früh auf) (Z)

16: Kaffee & Wein (Z)
17: Die Toten auf dem Rücksitz (Z) 


Links:
- aus unserem Archiv:
- Thees Uhlmann & Band, Stuttgart, 10.11.2013
- Thees Uhlmann & Band, Großpösna, 18.08.2013
- Thees Uhlmann & Band, Mannheim, 01.06.2013
- Thees Uhlmann & Band, Haldern, 09.08.2012
- Thees Uhlmann & Band, Scheeßel, 23.06.2012
- Thees Uhlmann & Band, Trier, 10.12.2011
- Thees Uhlmann & Band, Köln, 25.11.2011
- Thees Uhlmann & Band, Bielefeld, 12.12.2010
- Tomte, Wien, 05.09.2009
- Tomte, Mülheim, 25.03.2009
- Intergalactic Lovers, Mannheim, 02.06.2013


 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates