Dienstag, 5. Januar 2016

My year in lists: Meine 15 Konzerte des Jahres (Christoph)


2015 war kein gutes Musikjahr. Kaum eine Platte hat mich (vor oder nach dem Hören) so beeindruckt, daß sie hängenblieb, die Hypes (Wanda, Annenmaykantereit und was auch immer) ließen mich kalt, die Festivals, die sich mit den Klassenbesten Primavera (groß) und Indietracks (klein) messen können, sind rar und werden weniger (das wundervolle Phono Pop hatte 2015 seine letzte Ausgabe). Ob ich überhaupt 15 so beeindruckende Konzerte gesehen habe, die eine lange Liste rechtfertigen?
Meine Longlist besteht aus gut 30 Kandidaten. So schlecht war das Jahr dann offenbar doch nicht. Denn Konzerte sind die höchste Kunst der Musik, was interessieren also miese Platten, wenn das Live-Jahr hervorragend war?

Meine besten* Konzerte 2015 waren (ich hasse meine Auswahl jetzt schon, weil sie nach einer Länder-Dropping-Angeberei aussieht - aber eine Zensur findet nicht statt, die tollsten Konzerte waren leider anderswo):


15: Lene Lovich, Koblenz, 16.04.15 (ausführliche Berichte über die Links)


Wenn ich das Wort Fremdschämen nicht so schrecklich fände, war der Abend mit meiner alten Heroin Lene Lovich, von der ich nicht mal wusste, daß sie noch lebt, dafür prädestiniert, so zu werden. Lene war Ende der 70er Jahre eine Punk-Erscheinung mit großen Hits. Ich lernte sie zehn Jahre später auf Kassette und dann auf einer Secondhand-Single nach der anderen kennen. Das Konzert im Circus Maximus in Koblenz war nicht nur nicht schlimm, es war ausgezeichnet! Lenes Stimme, der ich nichts mehr zugetraut hatte, saß, ihre Songs könnten auch heute Hits sein. Vielleicht sollte man sie einmal mit Jamie xx zusammenbringen. Neben der musikalischen Güte überzeugte uns Lenes Tochter Valkyrie als Bassistin in einem grandios-tollen kupferfarbenen Skioverall.

14: New Order, Brüssel, 06.11.15


Schwache Platte - bla bla bla. Entscheidend ist auf der Bühne. Auch da war es nicht mein bestes New Order Konzert (einige der Mixes wirkten gehetzt). Aber New Order sind nun mal New Order. Es gab allerdings einige bessere Konzerte 2015. Zum Beispiel...

13: Chorusgirl, Ripley, 25.07.15


Das Indietracks Festival in den englischen Midlands ist seit 2013 mein musikalisches Schlaraffenland, mein Twee-Pop-Wacken. Chorusgirl spielten Samstag um 13 Uhr in der Lokhalle. Ich wusste nichts von der Band, kannte ein Lied und hatte in der Festival-App (in der es ein Glockenspiel gibt!) gelesen, daß Chorusgirl eine Single veröffentlicht hatten (bei Odd Box Records im 100 Club). Beim Konzert beeindruckte mich die Menge an tollen Liedern und die herrlich opunkig-rotzig klingende Stimme von Sängerin Silvi Wersing. Mir hätte das alles schon vor dem letzten Song toll gefallen. Daß da ein Indiepop-Chor, bestehend aus Musikerinnen vieler anderer Festival-Bands mitsang, war aber noch ein besonders schöner Abschluß!

12: Lingby, Köln, 27.11.15


Lingby habe ich viel zu spät für mich entdeckt (2010, glaube ich). Ganz schlimm ist das aber nicht, schließlich wird die Kölner Band von Mal zu Mal besser und scheint meilenweit vom Höhepunkt ihres Schaffens entfernt zu sein. Mein bislang bestes Lingby Konzert war das anläßlich des 10-Jahres-Jubiläums der Gruppe im Motoki-Wohnzimmer im Köln. Obwohl Sänger Willi noch an den Folgen eines Armbruchs litt und wenig Gitarre spielen konnte, war der Abend phänomenal gut. Lingby haben sich mit fünf (?) Konzerten fest in den Kreis meiner Lieblingsbands gespielt. Aber bei Hits wie Like a stone, vermutlich dem besten Stück einer deutschen Band seit Jahren, ist das ja auch nicht schwer.

11: Motorama, Straßburg, 14.02.15


Keine Band habe ich 2015 häufiger gesehen. Und jedes der Konzerte von Motorama aus Rostow am Don war hervorragend. Obwohl ich auch keine Gruppe in den vergangenen drei Jahren öfter erlebt habe, haben Motorama-Shows nichts an ihrer Faszination eingebüßt. Obwohl Motorama von Mal zu Mal besser werden, war mein Lieblingskonzert der Russen eines im Februar. A propos Februar... höchste Zeit, daß Motorama wieder auf Tour kommen!

10: The School, Ripley, 24.07.15


Und noch eine Indietracks-Band...
The School
aus Wales sind riesig - was ihre Besetzung und die Qualität ihrer Pophits angeht. Beim Indietracks spielte die Band am Eröffnungsfreitag zwischen Fever Dream und Cinerama und spielte diese beiden Lieblinge an die Wand!


09: Oyama, Kelflavik, 03.07.15


Das ATP Iceland war ein einziges Mißverständnis. Ursprünglich von uns als Bowlie 3 eingeplant (also als von Belle & Sebastian kuratierter Bandausflug Glasgower Indiemusiker), rückte der Musikaspekt der Islandreise immer mehr in den Hintergrund, je mehr uninteressante bis gruselige Bands bestätigt wurden. Leider hatte das ATP nämlich andere Ideen als wir, was auch immer die gewesen sein mögen. Daß neben Lakritz in Schokolade trotzdem noch ordentliche Souvenirs mitgebracht wurden, lag zum Beispiel an Oyama, einer isländischen Shoegazeband, die auf dem Papier interessant klang und live enorm spannend war. Oyama spielten früh vor wenigen Leuten, waren aber die beste Band des Festivals. Da viele Künstler aus Island auch bei uns auftreten, hoffe ich sehr, die Band irgendwann noch einmal zu sehen.

08: The Pastels, Barcelona,  29.05.15


Was soll ich zu den Pastels groß sagen? Blogger unterstützt keine Herzchen-Emoticons, was ganz gut ist, weil meine Pastels-Berichte aussähen wie Whatsapp-Chats von 13jährigen. Leider kann man die Glasgower Band so selten bei uns sehen, das wundervolle Week-End Fest in Köln war eine von wenigen Gelegenheiten in den letzten Jahren. Beim Primavera ist das Publikum fachkundig genug, in Scharen zu der schrulligen schottischen Band zu strömen. Die Schar war hier ein begrenzt, die Pastels spielten eines der "Geheimkonzerte" auf einer Bühne in einer Art Parkhaus, für die man Reservierungen brauchte. Natürlich war der Auftritt ausverkauft. Und natürlich war er wunderschön! (Herzchen)

07: The Tuts, Stuttgart, 04.10.15


Mein erster Kontakt mit den Tuts fand... beim Indietracks statt (ich langweile). Mein bislang letzter war ein (Indie-)Wohnzimmer-Konzert in Stuttgart, das so toll war, daß es eigentlich weiter vorne in die Liste gehörte! Wieso das so war und was ein Konzertabend mit meinen alten Helden The Darling Buds damit zu tun hatte, steht im Artikel vom Konzert selbst (Link oben!).

06: The Luxembourg Signal, Ripley, 26.07.15


Wenn es einen klitzekleinen Nachteil des Indietracks Festivals gibt, ist das die Akustik der Lokwerkstatt, in der die Indoor-Bühne liegt. Eine Band wie The Luxembourg Signal, die meine Lieblingsplatte 2014 gemacht hatte, hätte besser draußen oder in einem spezialisierten Club gespielt. Aber auch in dem ollen Schuppen war das Konzert ein großes Vergnügen! The Luxembourg Signal waren der heimliche Headliner des Festivals. Daß solch fantastische Musik in Deutschland vielleicht 500 Leute kennen, muß ich immer wieder verdrängen.

05: Sleater-Kinney, Antwerpen, 21.03.15


Es ist einer dieser Reflexe. Sobald zu viele Menschen etwas mögen, mögen es die immer gleichen anderen nicht. Dieses Abgrenzen scheint enorm wichtig zu sein, will man cool und wichtig sein. Alle mögen Star Wars - Twin Peaks - The Cure - das Video von dem Elefantenbaby, das Vögeln hinterherjagt? Dann mag ich das aus Prinzip nicht. Ich bin ja individuell! Äh, nein, bin ich nicht. Das "Ich" war nicht ich.
Mit Reunions ist es genauso. Natürlich gibt es viele davon. Und natürlich sind viele vollkommen sinnlos. Aber aus Prinzip nein zu sagen, weil sich wieder eine Band "nur wegen des Gelds" wiedervereinigt, ist mir zu platt. Denn manchmal sind diese Reunions ("wegen des Gelds!") musikalisch so sinnvoll, daß die Ausprinzipverweigerer sich ins eigene Knie schießen (um mal eine Floskel aus der ersten großen Zeit vieler der reunionenden Bands zu benutzen). Sleater-Kinney zum Beispiel. Welch eine Energie! Welch eine Relevanz! Was brauche ich dieses ganzen anstrengenden Pitchfork-Hypes, an die sich in einem Jahr niemand mehr erinnert, wenn ich Sleater-Kinney in der Form der 15er Konzerte haben kann? Daß mit PINS eine hervorragende Vorgruppe und mit Katie Harkin von Sky Larkin eine noch hervorragendere Tourmusikerin dabei waren, machte das Antwerpener Konzert noch eine Ecke strahlender!


04: Ride, Barcelona, 29.05.15


...mit Reunions ist es genauso.
Warum sollten Ride schlecht geworden sein? Warum sollte ich sie jetzt nicht gucken wollen, wenn ich sie vor 20 Jahren schon mal live gesehen hätte? Habe ich nicht, mein Ride Konzert mit 25.000 anderen Leuten beim Primavera war mein erstes. Und es war atemberaubend schön! Kann man bei arte nachgucken. Aber die Stimmung, die Glücksgefühle, nach einem langen Primavera-Tag diese grandiosen Hymnen zu hören, die gibt es eben nur live. Leider bei solchen Bands auch nur im Ausland. In Deutschland hätte parallel irgendein Hanswurst gespielt, den sich alle lieber angeguckt hätten.


03: Desperate Journalist, Ripley, 25.07.15


Zu einer Desperate Journalist Reunion werde ich in 20 Jahren sicher auch gehen! Wow, hat mich diese Band schnell erobert! Beim Indietracks spielen 50 bis 60 Bands, die den Besuchern mit einem Sampler vorgestellt werden. Desperate Journalist waren mit Happening vertreten. Die ersten Sekunden reichten dabei, die Londoner Band zu meinem ersten Fixpunkt im dreitägigen Programm zu machen. Eine Stunde vor ihrem Auftritt stand die übernächtigte Band noch am Kaffeestand und hielt sich mit Espresso über Wasser. Nach dem 40minütigen Konzert las ich einen Facebook-Kommentar, daß Desperate Journalist nach The Organ klängen, es daher also nicht verwunderlich sei, daß sie mir gefallen hätten. Das Konzert hatte diese Assoziationen bei mir nicht erzeugt, die Platte kannte ich da noch nicht. Aber daß sie durchaus angebracht sind, beweist, daß mein Urteil über Desperate Journalist unmittelbar nach dem Konzert vollkommen berechtigt war, schließlich sind The Organ die beste Band der Welt.

01: Luna, Madrid, 20.04.15


Nein, kein Tippfehler. Und nein, auch keine Feigheit oder Entscheidungsschwäche. Es gibt zwei Konzerte des Jahres. Das ist nicht schön, es ist aber auch nicht zu verhindern.
Luna habe ich 2015 dreimal gesehen - davor nie. Als die Spanien-Tour im April angekündigt wurde, war die Planung nicht ganz leicht. Die erreichbaren Konzerte (also die in der Nähe eines billigen Flughafens) fanden während der Woche statt, die am Wochenende unerreichbar. Wir entschieden uns für Madrid, wohnten zufällig 300 m vom Theater entfernt, in dem Luna spielten und mussten auf dem Weg die Calle de la luna überqueren.
Ich habe Dean Wareham, den vermutlich größten Musiker seiner Generation, mit Galaxie 500 und solo gesehen, nie aber seine nach dem Ende von Galaxie 500 gegründete Band Luna, mit der er den größten Teil seiner Karriere bestritt. Luna ist eine dieser Nur-Hits-Bands. Natürlich hatten wir Wunschlieder und nicht alle von denen kamen. Trotzdem bestand der Abend im Theater nur aus Lieblingssongs. Manche wurden es eben in diesem Moment.
Die beiden Konzerte im Sommer in Brighton und London waren gleichgut. Auch die Vorgruppe Flowers war immer dabei und gefiel mit ausgezeichnet. Besonders erstaunte mich hinterher, daß Luna in meiner Gunst zu Galaxie 500 mindestens aufgeschlossen haben!


01: Cinerama & The Wedding Present, Paris, 17.07.15


Und dann war da der perfekte Konzertabend auf einem Hausboot in Paris. Oliver hatte sein 100. (lange schon nicht mehr) Wohnzimmerkonzert mit einem besonderen Gast machen wollen. Es wurden Cinerama, die "andere Band von David Gedge". Ich hatte Cinerama ein paar Wochen vorher beim Primavera mit noch größerer und ein paar Tage später beim Indietracks in kleinerer Besetzung gesehen, die Oliver-Peel-Session war aber unvergleichlich! Natürlich hatte die besondere Umgebung, das tolle Hausboot, die "Vorgruppe" Wedding Present (zum ersten Mal supportete die Haupt- die Nebenband!) mit Saturnalia einen großen Anteil daran. Wenn ich mich nicht entscheiden kann, ob das oder das von Luna das Konzert des Jahres waren, war das schon ein verflucht gutes Musikjahr! Und jetzt Du 2016!



* wie immer vollkommen subjektiv


1 Kommentare :

E. hat gesagt…

bezüglich der platten muss man natürlich widersprechen.
es gibt in jedem jahr eine gehörige anzahl an sehr guten bis
ungeheuerlich guten, aber man muss sie finden.
angesichts deiner ruhelosigkeit kein wunder, wenn sie dir
nicht mal so eben zufliegen.

 

Konzerttagebuch © 2010

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