Mittwoch, 16. August 2017

Haldern Pop Festival, 2. Festivaltag, 11.08.17


Konzerte: 2. Festivaltag beim Haldern Pop mit u.a. Aldous Harding, Julie Byrne, Faber, Benjamin Clementine, Matthew And The Atlas
Ort: Haldern Pop Festival, Rees am Niederrhein
Datum: 11.08.17
Dauer: von 10 Uhr 30 bis 3 Uhr früh
Zuschauer: Etwa 7000 


Am zweiten Festivaltag wollte ich unbedingt zu Aldous Harding in der Haldern Pop Bar vor Ort sein. Die Neuseeländerin war dort von 12 Uhr 40 bis 13 Uhr 20 angesetzt. Aufgrund des sehr mittelmässigen Netzes an öffentlichen Verkehrsmitteln, kam ich aber prompt zu spät. Früh aufstehen war ohnehin nicht drin gewesen, gestern nacht hatte ich noch stundenlang Fernsehen geglotzt, es lief die spannende Sendung "die 10 gefährlichsten Flughafen der Welt" und ich konnte ja schlecht nach Platz vier aufhören... 

Aldous Harding platzierte sich bereits im Vorfeld in meiner persönlichen Top Ten Liste, nämlich derjenigen mit den Acts, auf die ich mich am meisten beim Haldern freute. Insofern war mein Bedauern gross, sie verpasst zu haben. Aber ich hatte ihre Show nur vermeintlich verpasst, aufgrund von Verschiebungen im Programmablauf bekam Aldous kurzfristig den Slot von Mammut um 17 Uhr im Zelt zugewiesen und ich hatte das grosse Glück, die Neuseeländerin doch noch geniessen zu können!



Sie kam ganz in weiss (Zeichen von Unschuld?) gekleidet auf die Bühne, nur die Collegeschuhe waren schwarz. Ein recht konservativer East Coast Look für eine solch ausgeflippte Dame, aber vielleicht war das Teil des Konzepts. Mit ihr auf der Stage ihr exzentrischer Pianist mit dem Gebaren eines bekifften Hippies, köstlich! Die beiden fielen wirklich auf, Aldous insbesondere durch ihre Grimassen, ihr Augenverdrehen, ihre seltsame Mimik. Brutale Ehrlichkeit um die Authentizität der Texte zu unterstreichen, unbewusste Marotte, oder Albernheit? Hinterher diskutieren wir unter den Haldern Fotografen dieses Phänomen, ohne das Rätsel wirklich ergründen zu können.



Unbestritten gut war auf jeden Fall die Musik. Harding hat auf ihrem aktuellen Album The Party (das zweite ihrer Laufbahn) so viele starke, eigenwillige, auch textlich interessante Songs zu bieten, dass man heuer nur schwerlich an ihr vorbei kann. Ob das an John Lennon erinnernde Imagining My Man, das elektrisch angehauchte Bend, oder das eingängige Horizon, all diese Stücke klangen auch live extrem gut. Und zusätzlich bekamen wir den vielversprechenden neuen Song Weight Of The Planets geboten.

In der Mitte des Sets stiessen zwei zusätzliche Musiker mit auf die Bühne, ein Drummer plus H. Hawkline an der Gitarre. Hawkline gilt ja auch als Solokünstler als heisser Tip, aber in der Band von Harding fiel er nicht sonderlich auf. Die reduzierten Songs brauchten eigentlich nicht viel Instrumentierung, die Neuseeländerin hätte ihr Konzert auch problemlos nur zu zweit bestreiten können. Letztlich wechselte das Line Up während des Sets in schöner Regelmässigkeit, Aldous stand mal alleine, mal zu zweit, mal zu viert auf der Bühne. Gut war es immer. Nur am Ende störte die Musik die von der Hauptbühne ins Zelt rüberdröhnte (Blaudzun hatte begonnen) ein wenig, aber so etwas gehört bei Festivals eben dazu.



Aber gehen wir mal chronologisch vor, Aldous Harding fand also um 17 Uhr statt, vorher, genauer gesagt um 14Uhr 30, hatte Julie Byrne ihren Auftritt in der Kirche. Und der war erwartet wundervoll. Ganz alleine mit Akustikgitarre hatte die Amerikanerin ihr Konzert bestritten, hatte auf wundervollste und sanfteste Art gesungen und mich damit völlig in ihren Bann gezogen. In der Kirche war es vorbildlich ruhig und alle sahen friedlich und mit freudigen Augen nach vorne, wo Byrne die Friedenspriesterin gab.



Dabei spielte es für mich keine grosse Rolle, dass sich die Lieder untereinander etwas ähnelten, schlicht und einfach gehalten waren. Was für mich zählte war die Naturreinheit (kein Wunder, dass ein traumhaftes Stück Natural Blue hiess), die profunde Schönheit (man höre nur Melting Grid!), die wahnsinnige Zärtlichkeit die von den Liedern ausging, die überwiegend von dem aktuellen zweiten Album Not Even Happiness stammten. Auffällig auch ihr gutes Fingerpicking, das sie von ihrem Vater erlernt hatte.

Eine Wohltat für die Sinne dieses Konzert von Julie Byrne! Vor dem Kircheingang kaufte ich mir auch noch ihr erstes Album (Rooms With Walls And Windows), das ich noch nicht hatte, machte mich dann aber auf den Fussweg Richtung Hauptbühne. Meine Füsse trugen mich leider nicht schnell genug, um noch den Schluss von Penguin Café zu sehen, schade, aber man kann bei Festivals eben nie alles sehen, was man möchte.



Um 16 Ihr 15 traten die Schweizer Faber auf der Hauptbühne auf. Das war zwar musikalisch nicht so ganz mein Stil, aber die Band um Sänger Julian Pollina schaffte es sehr gut, das Halderner Publikum zu unterhalten. Pollina hatte etwas von einem Posterboy, in den ersten Reihen sah man viele schmachtende Mädchen.



Auffällig die Bühendeko, da standen viele Pflanzen rum, das Ganze hatte das Flair eines tropischen Regenwaldes (nun gut, Sonnenblumen gibt es dort nicht)
Unterhaltsam, aber dennoch ziehe ich das Buch Homo Faber von Max Frisch der Musik von Faber vor.



Nach Faber ging ich rüber zum Spiegelzelt zu Aldous Harding, aber den Bericht darüber habe ich ja hier schon an den Anfang gestellt, so dass wir hier nun chronologisch fortfahren können und zwar mit dem Gig von Blaudzun, der bis um 18 Uhr 30 auf der Hauptbühne stattfand. Er war äusserst schwung- und stimmungsvoll und begeisterte das Publikum. Das war tighter Indierock mit gelegentlichen Ausbrüchen Richtung Mainstream, getragen von der Falsettstimme von Johannes Sigmond und den flotten Rhythmen der Band, in der die blonde Perkussionistin mit ihrem attraktiven flachen Bauch optisch herausstach, aber mit ihrer unglaublichen Energie auch musikalisch zum Gelingen beitrug.




Bei den Amazons im Anschluss legte ich dann eine Essenspause ein und fand mich erst wieder zum Auftritt von AnnenMayKantereit ein. Eine Band die in Haldern schon vor der Kirche, in der Bar und auf der Biergartenstage (die gibt es heuer nicht mehr) gespielt hatte, inzwischen aber richtig kommerziell erfolgreich geworden ist und somit logischerweise auf die Hauptbühne platziert wurde.

Neben den eigenen Kompositionen performten die vier Kölner auch zwei Cover, einmal den Farbfilm von Nina Hagen und dann noch das The Zutons Cover Valerie, das Amy Winehouse erst so richtig bekannt gemacht hatte.



Gegen Annemyakantereit wird seitdem sie erfolgreich sind viel gehetzt, aber schlecht war ihr Auftritt in Haldern nicht. Die Rio Reiser Gedächtnisstimme von Bandleader Henning May war markant und 3. Stock ("ich möchte mit dir in 'ner Altbauwohnung wohn', zwei Zimmer, Küche, Bad und einer kleiner Balkon") ist fast eine Art guilty pleasure für mich. Guilty weil es ein wenig sozialromantischer Kitsch ist und auch eher bieder daherkommt.

20 Uhr 15 Zeit für den gehypten Loyle Carner im Spiegelzelt, aber mit seinem Hip Hop konnte ich mich nicht richtig anfreunden, ich mag diesen Musikstil nun einfach nicht, da wäre es gelogen hier Interesse zu heucheln. Seine Verpflichtung beim diesjährigen Festival war aber sicherlich ein Coup der Veranstalter, Loyle Carner ist sehr begehrt zur Zeit.



Toll war dann der Auftritt von Badbadnotgood um 20 Uhr 45 auf der Hauptbühne. Das war Instrumentalmusik mit Jazzeinschlag und leichten Hip Hop Elementen (noch erträglich für meine Ohren), geboten von vier Kanadiern, bei denen der blonde Drummer Alexander Sowinski den Ton angab und die Ansagen machte, sich aber ein in der Mitte der Bühne performender Saxofonist namens Leland Whitty ebenfalls sehr verdient machte.

21 Uhr 30, höchste Eisenbahn um pünktlich zum Konzert  von Die Höchste Eisenbahn dabei zu sein. Die Berliner Band spielte im Spiegelzelt ihre deutschen Popsongs und sorgte für gute Stimmung. Leider war es im Zelt aber so brechend voll und ich stand ganz hinten, hinter enorm vielen enorm grossgewachsenen Leuten, dass ich es nicht lange aushielt und wieder raus ging.



Bei Benjamin Clementine hatte ich deutlich mehr Sicht-und Bewegungsfreiheit und showtechnisch konnte mich der ungemein gut aussehende Pianist überzogen. Er hatte ein extravagantes Kostüm mit einem weisser Kragen (einer Krempe? wie nennt man so etwas?) an und am hinteren Bühnenrand performten ein halbes dutzend Backgroundsängerinnen. Stilistisch schwer einzuordnen, aber die Musik hatte was. 



Benjamin Clementine ist unbestritten ein Mann für die grosse Bühne, obwohl er in Haldern vor ein paar Jahren zunächst im Zelt angefangen hatte. Seitdem ging es für ihn karrieretechnisch immer weiter bergauf, zu Liebhabern haben sich auch einige Hater gesellt, aber selbst wenn das nicht wirklich meine Musik war, fühlte ich mich gut unterhalten, zumal Clementine auch ein guter Kommunikator war und oft mit dem Publikum sprach.



Zu meinem persönlichen Tagesabschluss sah ich mir dann auch noch die Briten Matthew And The Atlas im Spiegelzelt an. Eine tolle Band, die auf dem renommierten Communion Label veröffentlicht und von Matt Hegarty angeführt wird. Der Mann mit der rauchigen Stimme war mit seiner Gruppe schon mal in Haldern und freute sich zurück zu sein. Die Freude lag ganz meinerseits denn ein Titel wie On A Midnight Street, der in der Anfangsphase gebracht wurde, glänzte durch eine famose Melodie und eine traumversunkene Instrumentierung. Auch der Titelsong des aktuellen Albums, Temple , wusste mit ähnlichen Ingredienzen zu gefallen. Das war Folkrock, durchaus Mainstream kompatibel, aber nie flach oder anbiedernd. Schöne Harmoniegesänge hübschten das Ganze zusätzlich auf. Ein gelungener, sympathischer Auftritt, mit dem ich diesen Haldern Tag abschloss. Es war komplett trocken geblieben, obwohl der Himmel immer mal wieder bedrohlich aussah. Ein bisschen Glück mit dem Wetter gehört halt eben auch dazu.




 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates