Freitag, 28. September 2007

CocoRosie, Paris, 27.09.07


Konzert CocoRosie
Ort: Olympia, Paris
Datum: 27.09.2007
Zuschauer: ausverkauft


Der Plan war gut, die Ausführung schlecht! Cécile sollte mich vereinbarungsgemäß am Bahnhof "Gare du Nord" abholen, wo ich aus Richtung Köln kommend mit dem Thalys gegen 19 Uhr einlaufen würde. Sie war auch pünktlich da, das Problem war bloß, daß sie die Konterttickets für CocoRosie nicht dabei hatte...

Anstatt gleich vom Bahnhof zum Olympia zu fahren, ging es also erst einmal nach Hause, was mir die Gelegenheit gab, mein verschwitztes Ramones T-Shirt zu wechseln und eine Tasse Kaffee zu trinken. Der Koffeinschub war auch bitter nötig, schließlich hatte ich in der Nacht zuvor kaum ein Auge zugemacht und im Zug die "Arschlochkarte" gezogen, weil ich an einem Vierer-Tisch saß und deshalb die Füße meiner gegenübersitzenden Person (eine, alte krähenhaft aussehende Dame mit mürrischem Gesichtsausdruck) ständig in der Quere hatte. Entsprechend genervt kam ich in Paris an und hätte gut und gerne Lust gehabt, das Konzert von CocoRosie sausen zu lassen. Da ich hart im Nehmen bin, raffte ich mich aber dennoch auf und machte mich auf den Weg in eines der altehrwürdigsten Konzerthäuser von Paris. Das Olympia liegt in einer sehr bürgerlichen, konservativen Gegend und so war es nicht weiter verwunderlich, daß mir versnobte Junganwälte der Streber-Kanzlei White & Case über den Weg liefen. Während meine Ex-Kollegen (na ja, nicht ganz, meine Jura-Karriere endete mit dem Bestehen des ersten Staatsexamens) aber gerade von der Arbeit kamen, ging es für mich rein ins Vergnügen. Im Inneren des Olympia war das Publikum ganz anders als draußen. Ambitionierte Anwälte machte ich nämlich unter den Besuchern nicht aus, sondern vielmehr ein bunt gemischtes Völkchen aus Neo-Hippies, Bobos (Leute, die sich gerne linksintellektuell geben, aber in ihrer 2000 € teuren Mietwohnung über die Probleme in der Banlieue fachsimpeln, der Sänger Renaud hat ein ganzes Lied über diesen typisch pariserischen Menschenschlag geschrieben), Schwulen, Lesben und kindgebliebenen Erwachsenen (Typen wie ich also). Diese Mischung empfand ich als sehr angenehm. Weniger angenehm war allerdings die Tatsache, daß vor dem Auftritt der Casady Schwestern (die Vorgruppe hatte ich verpasst, wer immer das auch war), viele Besucher glaubten, in dem eigentlichen Nicht-Raucher Raum, ein Zigarettchen anstecken zu müssen und dies vor allem in unmittelbarer Nähe meines Riechkolbens. Ich schilderte bereits meine Müdigkeit und Gereiztheit, machte mich allerdings selbst locker, indem ich mir sagte, daß die betreffenden Leute, spätestens zu Konzertbeginn - wenn das dröge Warten vorbei war - das Qualmen einstellen würden. Aber Pustekuchen, selbst als es endlich los ging, wurde munter weiter geraucht und teilweise sogar gekifft! Ein Mädchen hinter mir hatte gerade eine zweite "Tüte" angesteckt und blies den weihrauchähnlichen Duft in den Himmel, da geschahen plötzlich merkwürdige Dinge in meiner Nachbarschaft! Eine Person, ich glaube ein Mädchen (es war sehr dunkel, ich konnte nichts erkennen), lag regungslos vor meinen Füßen. Ich hatte mich vorher schon über den "sperrigen Gegenstand" auf dem Boden gewundert, aber die Lage nicht gepeilt. Der Guten war wohl die Luft weggeblieben, kein Wunder bei dieser ekligen Duft-Note im Raume! Gerade wollte ich Hand anlegen, da kamen glücklicherweise ihr Freund und ein Ordner zu Hilfe und schleppten sie zur Seite. Die Arme, sie tat mir leid! Ich hatte Probleme, mich auf das Konzert zu konzentrieren, Titel zwei und drei gingen deshalb halbwegs an mir vorbei. Ich glaube aber, daß es sich um "Black Poppies" und K-Hole" handelte*, nachdem das Konzert mit "Lyla" eröffnet worden war. Mit "Promise" wurde es dann aber doch ruhiger um mich herum, ich konnte endlich meine Aufmerksamkeit dem Auftritt der Casady Schwestern und ihrer zahlreichen Begleiter widmen. Der erste Höhepunkt der Show nahte, "Terrible Angels" vom ersten Album "La Maison de mon rêve" wurde nämlich angestimmt und vom Publikum enthusiastisch gefeiert. "If every angel's terrible, then why do you welcome them?" war die berechtigte Frage. "Oh every angel's terrible said Freud and Rilke all the same, Rimbaud never paid them no mind, but Jimmi Morrison had his elevators". Den Text verstehe wer wolle, die tiefere Bedeutung dieser Zeilen war mir in dem Moment allerdings auch ziemlich egal, ich legte mein Augenmerk vielmehr auf die aufwändige und außergewöhnliche Bühnendeko, die schönen Kostüme, die zahlreichen Ballons und nicht zuletzt die abgefahrenenen Geräusche die während des Lieds erzeugt wurden. Klingelte da nicht ein Telefon? Und meckerten da nicht Ziegen, oder andere Tiere eines Streichelzoos? Kuriose Coco-Rosie Welt! Ein bunt zusammengewürfeltes Universum, bestehend aus Voodoo-Puppen, Luftballons, wie man sie auf einem Jahrmarkt findet, Spinnweben überall, die gut und gerne aus einem The Cure Video hätten entlehnt sein können, Blumen, ein Kaffeeservice, venezianische Masken, eine menschliche Beatbox (Tez), kindlich angemalte Gesichter, fluoreszierende Schminke, Rasta-Mützen, eine Harfe, Pianos und absurde Videoanimationen im Hintergrund. Man wußte gar nicht, wo man hingucken sollte! Diese glänzende bühnen-und maskenbildnerische Leistung wurde aber noch getoppt durch die völlig unterschiedlichen Stimmen der Schwestern. Sierra Rose (Rosie), die Ältere verfügt über einen operettenhafte Stimme, was nicht weiter verwundert, wenn man weiß, daß sie eine Weile am Pariser Konservatorium zur Opernsängerin ausgebildet wurde, während Bianca Leilani (Coco) mädchenhaft schräg singt, wie man das von Björk und Joanna Newsom kennt. Aber auch der Showteil wurde im Verlaufe des Konzerts immer besser. Beim Stück "Animals" schwang sich ein Turner an seiner Stange in die Lüfte und schwebte ohne Seil und doppelten Boden über die Köpfe der zahlreichen Musiker hinweg. Beim anschließenden "Sunshine" wurde gar ein ganzer Kinderchor aufgeboten, der am Piano begleitet, ein sonniges Strahlen auf die Gesichter der Besucher zauberte. Zum Glück waren die kleinen Racker schon wieder verschwunden, als "You Wanna Fuck me" gebracht wurde. Hierbei handelt es sich um eine freie Cover-Version des Stückes "I Wanna Love You" des Rappers Akon, die ich schon vom Konzert im Grand Rex im April kannte. Allerdings glich der heutige Gig dem damaligen kaum, sämtliche Videos waren anders, der Bühnenaufbau, die Kostüme, alles verändert. Gut so! Bei CocoRosie gibt es halt eben keine Routine, sondern immer wieder Überraschungen, auch hinsichtlich der Set-List. So wurden heute beispielsweise die damals nicht vorkommenden Titel "Good Friday und "Armageddon" gespielt. Bei letzterem Lied spielen auch Walter Disney und Mike Tyson textlich eine Rolle, warum auch immer. CocoRosie lieben wohl das Namedropping...

Zuvor hatte insbesondere "Beautiful Boyz" erneut verzaubert, auch wenn der famose Antony Hegarty leider nicht dabei war. Was für ein schönes und berührendes Lied! Ich hatte einen Kloß im Hals. Ganz am Ende des offiziellen Teils wurde aber noch einmal das Tempo angezogen. Der "Werewolf" verwandelte das Olympia in einen Dance-Floor, Tez, die menschliche Beatbox, rappte was das Zeug hielt und die beiden Schwestern taten im gleich. Was für ein Abschluß, der altehrwürdige Saal tobte zu Recht!

Nach einer kurzen Pause ließen es sich die Musiker natürlich nicht nehmen, noch einmal zurückzukommen und sich feiern zu lassen. Aber was wurde gespielt? "This is The End Of Time kam als Textzeile gleich mehrfach vor, aber ich erkannte das Lied nicht? Handelte es sich um eine Cover-Version? Möglich...

Und was war denn das für ein Song, der das Ganze endgültig abschloß? Es ging um "Highways Of Love" und die Aussage "Never Cried About A Boy". Never cried about a boy, really? Hmm, im umgekehrten Fall, gilt das nicht für mich! I cried often about girls! Auch für CocoRosie selbst hätte ich wieder die ein-oder andere Träne kullern lassen können, am heutigen Tage. Meine Augen blieben aber trocken, die verständliche Ergriffenheit spürte ich nur innerlich...


Setlist CocoRosie, Olympia, Paris:

01: Lyla
02: Tekno Love Song
03: Black Swan
04: Promise
05: Terrible Angels
06: Black Rainbow
07: Animals
08: Sunshine
09: You Wanna Fuck Me (Cover des Songs von Akon "I Wanna Love You")
10: K-Hole
11: Beautiful Boyz
12: Bloody Twins
13: Good Friday
14: Turn Me On (K. Lyttle Cover)
15: Houses
16: Armageddon
17: Japan
18: Werewolf

19: This Is The End Of Time (Z)
20: I'll Never Cry For Another Boy (Cover von den Majestic Arrows) (Z)

Links: mehr Bilder von CocoRosie

* nein, es handelte sich um den Tekno Love Song und Black Swan





6 Kommentare :

E. hat gesagt…

alter schwede! bewußtlose frau? was ging denn bei dir ab? ich bin gespannt wie ein flitzebogen auf deinen bericht!

Anonym hat gesagt…

Die Vierersitze im Thalys können einem wirklich die gute Laune verderben!

Oliver Peel hat gesagt…

Da sagst Du was Christina!
Vor allem wenn die gegenüber sitzenden Personen

a) miesgelaunte Zeitgenossen oder
b) großgewachsen sind oder
c) miesgelaunt und großgewachsen sind! ;-)

Anonym hat gesagt…

a) Paris-Touristen mit Angst vor der sie erwartenden Metrofahrt
b) lautstark
c) lautstarke Paris-Touristen mit Metro-Angst!!

a) mit Interrailticket
b) ohne Reservierung
c) mit Interrailticket ohne Reservierung

Oliver Peel hat gesagt…

nicht zu vergessen natürlich die Leute, die stinken und zwar

a) nach Schweiß
b) einem penetranten Parfum
c) nach Knoblauch
d) nach Schweiß und Knoblauch!

Anonym hat gesagt…

a) Großfamilien
b) Leute mit 2 Koffern
c) Großfamilien mit 2 Koffern pro Person

 

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