Dienstag, 8. April 2008

Editors, Paris, 07.04.08


Konzert: Editors

Ort: Le Bataclan, Paris
Datum: 07.04.2008
Zuschauer: ausverkauft
Konzertdauer: ca 75 Minuten


Was passiert, wenn der Untergrund zum Mainstream wird? Wird alles anders, oder bleibt es so, wie es immer war und nur die Namen der wichtigsten Akteure haben sich geändert?

Diese Sinnfrage habe nicht ich mir gestellt, sondern Albert Koch vom Musikexpress in seinem recht mittelmäßigen (sorry, Christoph, Du hattest es mir geschenkt und einem geschenkten Gaul guckt man ja eigentlich nicht ins Maul) Buch "Fuck Forever" - Der Tod des Indie-Rock

Thematisch könnte man es aber wunderbar auf die Editors anwenden: Vom Untergrund (mein erster Editors - Gig fand im Kellerraum der Maroquinerie statt) zum Mainstream (Bataclan). Wird die Musik dadurch automatisch schlecht? - Nein, denn zumindest diese Lehre habe ich aus dem oben zitierten Buch mitgenommen: Werde nicht zum Indie-Spießer! (O-Ton Albert Koch) Will heißen: Verwerfe nicht eine Band nur, weil sie inzwischen bei einem größeren Publikum Erfolg hat. Allerdings will ich nicht verhehlen, daß ich im Vorfeld keine große Lust auf das Editors-Konzert hatte. Das lag einerseits daran, daß ich die Band um Leader Tom Smith bereits zigfach gesehen habe (ich glaube mein Konzertzähler stand vorher bei 9 Gigs) und zudem einige Lieder einfach schon totgenudelt wurden. "Munich", "Blood", "All Sparks" - hängen mir diese Hits nicht schon zum Halse heraus?, fragte ich mich in den letzten Tagen ein wenig bange.

Hinzu kam noch, daß ausgerechnet an jenem 7. April unzählige andere hochinteressante Konzerte in Paris stattfanden. Die bezaubernde Singer/Songwriterin Simone White stellte ihren "Beep Beep Song" in der Flèche d'or vor, die aufstrebenden Engländer Hatcham Social spielten auf dem entzückenden Hausboot Batofar und die wunderbaren Dänen Efterklang beehrten das Point FMR mit ihrem Besuch (Calvin Harris im Trabendo unterschlage ich jetzt einmal, obwohl mein Freund Philippe da war und es toll fand). Im Grunde genommen reizte mich das alles mehr als die Editors.

Ich dachte ernsthaft über einen Verkauf meines Editor-Tickets nach. Bei Ebay wurden dafür immerhin 36 € geboten, das Batclan war schließlich ausverkauft. Dann aber sah ich das neue Video von "The Racing Rats" im Fernsehen und kam so langsam wieder auf den Geschmack. Doch hingehen?

Am Morgen des 7. April 2008 erwachte ich mit depressiven Gedanken. Ich mußte irgend etwas Scheußliches geträumt haben. Mir kam der Text von "Love Will Tear Us Apart" von Joy Divison in den Sinn. "Do you cry out in your sleep, all my failings expose? Get a taste in my mouth as desperation takes hold". Scheiß Depri! Ich mußte dieses grauenhafte Gefühl loswerden! Aber wie? - mit Musik und zwar New Wave, das wirkt besser als Prozac! Erste einmal eine Runde Joy Division zum warm werden, dann Interpol und schließlich...Editors!

"Look up through the trees to feel as small as you can, you hear the clocks counting down" ("Escape the nest"), dazu die hymnischen Gitarrenwände und der verzweifelte Gesang von Tom, mein i-pod lief auf Hochtouren, ich kam in Konzertstimmung. "If a plane were to fall from the sky how big a whole it leave in the surface of the earth?" ("The Racing Rats"), ich sang jede Zeile mit und die Leute im Bus, den ich genommen hatte, guckten mich etwas verwirrt an. Ich mußte zu den Editors, ganz klar! Diese Musik traf meine Stimmung an jenem 7. April ganz genau. Bin ich ewig 16? Ist das nicht Befindlichkeitskacke für unverstandene Teenager? - Mir scheißegal, auch mit 36 berühren mich die Texte der Editors noch. "In the end all you can hope for love you felt to equal the pain you've gone through" ("Bones") - Ja das trifft mein Lebensgefühl!

Ich beeilte mich, um pünktlich im Bataclan aufzukreuzen. Und mein Timing war perfekt: Wie geplant hatte ich die (un)- originelle Mobius Band (Christoph muß mir das noch einmal erklären; er sagte, er hielte sie in Krefeld für originell, aber ihr Stil sei schon lange nicht mehr originell. Was er wohl damit meint?) ausgelassen, begrüßte noch schnell meine zahlreich versammelten Konzertgänger-Freunde (alles Junkies wie ich!) und bahnte mir den Weg nach vorne, um ein paar nette Bildchen zu schießen.

Kurze Zeit später ging schon das Licht aus und ein greller Spot, der Tom Smith umstrahlte, an. Er trug "Camera", das Lieblingslied von Michael Jackson (ohne Scheiß!) vor. Die anderen Bandmitglieder sah man nicht, sie spielten in dichtem Neben, der sich auch nie so richtig legen sollte. Sämtliche Scheinwerfer waren während des gesamten Konzerts auf den hyperaktiven Sänger gerichtet. Normal, er hat diese unglaubliche Ian Curtis-Nörgelstimme, er ist der Boss! Die anderen dürfen nur mitmachen.

Mit "An End Has A Start" wurde das Tempo zum ersten Mal angezogen und ein paar Leute tanzten auch.
Allerdings sind Editors-Gigs nie richtige Tanzveranstaltungen, meistens stehen die Leute nur rum und gucken schmachtend in die Luft. Insofern ist das nicht wirklich anders als bei Interpol, aber der depressive Jugendliche ist nun einmal eher schüchtern. Tom Smith ist das nicht, zumindest nicht auf der Bühne. Da windet er sich, umarmt sich selbst, verknotet sich als hätte sich eine Boa Constrictor um seinen sportlichen Körper gelegt und fuchtelt mit seinen Händen in der Gegend rum. Kennt man ja alles nach dem 10. Editors-Konzert. Verblüffend ist es trotzdem immer wieder. Und wenn er auf dem Klavier rumklettert, kann ich mir auch nie ein Schmunzeln verkneifen. Herrlich! Besonders angetan hatte es mir seine wilde Entschlossenheit, mit der er seine schwarze Gitarre spielte. Bei den einzelnen Riffs zog er das Teil nach unten, als würde er eine harte Rückhand schlagen. Witzigerweise erinnerte er mich optisch auch ein wenig an meinen alten Freund und Tennis-Rivalen Marcel, gerade jetzt, da er seine Haare wieder kürzer trägt. Ein schöner Mann dieser Tom Smith, ich kann verstehen, wenn die Frauen auf ihn fliegen. Diese Mischung aus niedergeschlagener Melancholie und der trotzig-explosiven "Jetzt-zeige-ich es -euch-Haltung" ist eben faszinierend. Aber auch Russell Leetch, der gemütlich aussehende Bassist, zog mich mit seiner bescheidenen und gutmütigen Art in den Bann. Klasse, wenn er z.B. den Beifall des Publikums mit einem Klatschen seinerseits beantwortet. Ein Teamplayer, dieser Russell, der heute sogar bei einem Lied hinter Tom's Piano Platz nahm, während der Chef auf einer akustischen Gitarre spielte. Hinter das Piano schleicht Tom natürlich nur bei Balladen wie "The Weight Of The World", oder "Push Your Head Towards The Air" und dann wird es recht gefühlsduselig. Brauch ich nicht unbedingt, ich bevorzuge da eindeutig die schnellen, treibenden Lieder, wie "Munich" (in einer neuen Version), oder "Bones". Da kommen einfach die Stärken der Band am besten zur Geltung, als da wären ein hochmelodisches Gitarrenspiel , ein polternder Bass und ein explosives Schlagzeug. Highlights waren für mich aber zwei Stücke, die ich live noch nicht geboten bekommen hatte: Die gelungene B-Seite "Banging Heads" und das tolle The Cure - Cover "Lullaby".

Alles in allem wurde ein äußerst solides Konzert geboten, die Editors waren definitiv in Form, wenngleich sie mich wohl nie so begeistern werden wie Interpol (von Joy Division ganz zu schweigen, die spielen in einer eigenen Liga). Ich blieb allerdings nicht ganz bis zum Schluß, denn ich sahte mir: "Man soll gehen, wenn es am schönsten ist". Und dies war bei den "Racing Rats" der Fall. Auch ich rannte, denn ich wollte zumindest noch das Ende von Efterklang im Point FMR mitbekommen.

Im Metroschacht hinter dem Sitz, sah ich amüsanterweise beim Warten auf den Zug ein graues Nagetier. Es suchte nach Nahrung, verschwand aber schnell wieder in einem Loch. Keine "Racing Rat" übrigens, sondern eine "Racing Mouse".

Setlist Editors, Bataclan, Paris:

01: Camera
02: An End Has A Start
03: Blood
04: Bullets
05: The Weight Of The World
06: Escape The Nest
07: Lights
08: When Anger Shows
09: Banging Heads
10: Lullaby (The Cure-Cover)
11: All Sparks
12: Munich
13: Push Your Head Towards The Air
14: Bones
15: Fingers In The Factory

16: The Racing Rats (Z)
17: You Are Fading (Z)
18: Smokers Outside The Hospital Doors (Z)

Links:

- die Editors in Krefeld im März 2008
- in Paris (November 2007)
- in der Live Music Hall in Köln (
November 2007)
- in Paris im Juli 2007
- beim Wireless Festival in London im Juni 2007
- in der Kultur Kirche in Köln (Juni 2007)
- bei Rock en Seine im August 2006

- mehr Fotos von den Editors hier



2 Kommentare :

Christoph hat gesagt…

Du liest nicht aufmerksam! ;-) Banging Heads haben sie im November schon in Köln gespielt, das ist eine B-Seite.

(Ich dachte damals aber auch, es sei ein neues, unveröffentlichtes Stück)...

echeck casinos hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
 

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