Dienstag, 27. April 2010

Crystal Castles, Melt! Festival, 17.07.09


Konzert: Crystal Castles

Ort: Melt! Festival Gräfenheinichen
Datum: 17.07.2009
Zuschauer: tausende
Konzertdauer: etwa 45-50 Minuten



Eigentlich wollte ich ja wie gewohnt einen topaktuellen Bericht abliefern. Aber ich kam in das verflixte Nouveau Casino am heutigen 26. April leider nicht rein. Das Konzert von Crystal Castles war seit Wochen ausverkauft und ich hatte mein Verhandlungsgeschick über- und die Genauigkeit der jungen Dame an der Kasse unterschätzt. Klar, ich hatte mich nicht um eine Akkreditierung bemüht, dachte aber, daß ich glaubhaft darstellen könne, daß ich mir für meine Konzertberichte und Fotos den Arsch aufreiße und verdiene, auf der Gästeliste zu stehen. Vor dem Nouveau Casino hingen gegen 21 Uhr nur noch ein paar Flyerverteiler und eine Gruppe junger Mädchen rum. Der Gorrilla am Eingang machte sofort deutlich, daß er niemanden ohne Karte vorbeilasse, da das Konzert ausverkauft sei. Durch Zufall kam aber gerade eine Bekannte von mir vorbei, die auch schon Konzerte hier organisiert hat. Wir unterhielten uns und dies verlieh mir vor dem Einlasser Glaubwürdigkeit. Er ließ mich passieren und ich konnte bis zum Kassenhäuschen vordringen. Höflich erkundigte ich mich, wie die Platzsituation aussähe. Zur Not würde ich auch eine Karte kaufen. "Nein, geht nicht!" schallte es mir patzig entgegen. "Und wie sieht es mit der Gästeliste aus?", setzte ich nach und zeigte auf einen dicken Stapel von unabgeholten Einladungstickets. "Davon kann ich ihnen keine geben, die Leute kommen ganz sicher alle noch!" Was für eine Erbsenzählerin! Eine echte Korinthenkackerin! Erlebt man in Frankreich eher selten, oft kann man verhandeln und auf Kulanz hoffen, zumal im konkreten Falle auch 20 Minuten später niemand mehr kam, um seinen Gästelistenplatz in Anspruch zu nehmen. Und die Show hatte inzwischen angefangen!

Ich zog also wie ein begossener Pudel ab und entschloß mich noch auf dem Rückweg, einen alten, nie geschriebenen Bericht über das Konzert von Crystal Castles beim Melt! Festival 2009 nachzureichen, denn das hatte es wirklich in sich!

Hier ist er:

Beim Melt! gibt es neben der Haupt- auch noch zahlreiche andere Bühnen. Der Auftritt der Kanadier Crystal Castles fand in einem offenen Zelt aus Glas (gibt es sowas?, ja!) statt. Denke das Ding hieß Gemini Stage. Ich war saumäßig gespannt, denn ich hatte ein früheres Pariser Konzert von Crystal Castles noch in lebhafter Erinnerung. Da ging so umfassbar der Punk ab, daß es mich glatt auf den Boden warf, als eine Wellenbewegung durchs Publikum ging. Ich war also vorgewarnt, wußte wie brutal wild das heute würde! Und es war wirklich erneut gigantisch! Die saumäßig hübsche Alice Glass wirbelte von der ersten bis zur letzten Minute wie von der Tarantel gestochen über die Bühne und baute sich in bewährter Manier direkt vor den Fans auf. Die knochige, spindeldürre Frau ist wahrlich ein Vulkan! Fast vergaß ich, daß Crystal Castles eigentlich ein Duo sind und Ethan Kath die fetzigen Beats beisteuert. Es zirpte, wummte, krachte in allen Ecken. Gebraut wurde ein teuflisches Soundgemisch aus Sirenen, pluckernden Beats und hypnotischen Samples, das mir alle Sinne raubte. "Wumm, wumm, wumm" und "zirp zirp zirp", donnerte es ohne Unterlass und die schwarzhaarige Sängerin mit dem stylishen Pagenschnitt schrie, als würde ihr ohne Narkose ein Bein amputiert. Ein wilderes Weibsbild kann man sich kaum vorstellen! Die einzige vergleichbare Frontfrau, die mir einfällt, wäre Beth Ditto. Alice Glass also eine Beth Ditto in dünn. Oder so. Schade bloß, daß man sie so selten richtig sah, denn es war stockdunkel und einzig und allein periodisch aufflackernes Weißlicht ließ einen Sekundenbruchteil lang einen Blick auf die Frontlady zu. Wie toll sie tanzte! So cool, so saulässig, so zügellos. Und ihr männlicher Mitspieler zaubert aus dem Hintergund Computer-Melodien , die man als älterer Zuschauer noch aus Atari Spielen kannte. Ich war hingerissen und das obwohl ich mit rein elektronischer Musik eigentlich nicht viel anfangen kann. Aber der Elektro-Punk von Crystal Castles hat es wirklich in sich und live bringen sie die Sache einfach überwältigend rüber. Der Hit Courtship Dating hatte zur Abwechslung sogar Text, aber was gesungen wurde, interessierte hier und heute niemanden auch nur die Bohne. Das Tempo und die Stimmung waren durchgängig sensationell, aber bei Crimewave war das Gehüpfe, Gestoße und Geschunkel im Publikum noch eine Ecke schärfer. Bei Air War wurde regelrecht Pac Man gespielt. Musikalisch versteht sich! Pbwohl ich gerne das Monster gewesen wäre, daß Alice mit Haut und Haare verschluckt. Mein absoluter Favorit des Sets war Black Panther, das so unglaublich modern und futuristisch klingt. Ein galaktischer Track, der deutlich weniger düster und aggressiver war als der Rest des Konzerts.

Insgesamt: Ein atemberaubender Gig! Danke an die junge Band aus Kanada, daß sie mir für eine knappe Stunde, die Illusion gaben, noch einmal 20 und voller Tatendrang zu sein.

Aus unserem Archiv:

Crystal Castles, Paris, 22.05.08

Link:

Photos von Crystal Castles @ Nouveau Casino, Paris bei Elodie Nelson, klick!





2 Kommentare :

E. hat gesagt…

ein grinsen sei mir vergönnt, mein lieber, da ich mich daran erinnere, wie du mich fopptest, als ich mal knete abdrücken musstem obwohl ich auf der gästeliste hätte stehen müssen. in frankreich, so oder ähnlich dein kommentar, wäre das nie passiert...

Oliver Peel hat gesagt…

Das Mädel an der Kasse muss ein paar Jahre in Deutschland gelebt haben, anders kann ich mir das nicht erklären ;-)

 

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