Dienstag, 4. Mai 2010

Tindersticks, Paris 03.05.10


Konzert: Tindersticks (The Unthanks)

Ort: Le Bataclan, Paris
Datum: 03.05.2010

Zuschauer: ausverkauft
Konzertdauer: Tindersticks 90 Minuten



Verflixt! Die doofe U-Bahn ist mir vor der Nase weggefahren. Konsterniert blicke ich auf die Anzeige und stelle betröpfelt fest, daß die nächste erst 13 Minuten später eintreffen wird. Üblich sind 4 Minuten, da gab es wohl irgendwo Probleme. Der nächste Schock ereilt mich, als ich im U-Bahnschacht ein Mädchen sehe, mit der ich vor 15 Jahren zusammen in Südfrankreich Jura studiert habe. Damals war sie süß und zierlich, heute ist sie fett und ihre Schönheit bereits mit 35 verblüht. Zum Glück habe ich nicht sie, sondern meine spätere Ehefrau angegraben. Die sieht nämlich immer noch top aus und ist schöner denn je. Hahaha, ich bin schon ein unverschämter Bastard! Sitze da mit meiner fetten Plautze hinter dem Computer und hacke gemeine Zeilen in die Tasten. Aber ein bißchen hämischen Spaß muss man mir schon lassen, schließlich bin ich mittendrin in der Midlife Crisis. Mein Spiegelbild kann ich nur noch schwerlich ertragen. Den dicken Mann mit dem schütteren Haar und den tiefen Augenringen von den nächtlichen Konzerten gucke ich mir lieber erst gar nicht mehr genauer an. Zu dumm nur, daß das Publikum bei den Tindersticks deutliche Ähnlichkeiten mit mir aufweist. Ebenfalls schon leicht ergraut, dünnes Haar, das sich immer weiter hinter die Stirn zurückzieht und mit kleinem Wohlstandsbäuchlein ausgestattet. Welche Schmährufe liest man da immer über Fußballer: "Die sind alle zu satt!" Würde auch zu dem Tindersticks Publikum (mich eingeschlossen, natürlich) passen, dieser Spruch. Die jungen hungrigen Leute, die Heißhunger auf wilden und ungestümen Rock'n Roll haben, sieht man hier jedenfalls nicht. Noch schlimmer: der Frauenanteil ist zu gering und diejenigen, die da sind, schauen auch nur mittelmäßig prickelnd aus. Irgendwie scheint es, als könne sich eine breite, gutsituierte und gebildete soziale Schicht über dreißig auf die Tindersticks einigen. Man sieht sowohl die typischen Linksintellektuellen, als auch die konservativen Aktenköfferchenträger mit ihren dooofen Blackberrys. Ein paar Herren im Publikum stehen im Anzug da, die sind direkt vom Büro gekommen und haben nur schnell ihren Schlips abgestreift. Andere wieder rechne ich den Kulturschaffenden zu, wie zum Beispiel den kleinen dicken Mann mit Bart und Brille, der für ein Print- Musikmagazin schreibt. Sie alle warten wie ich darauf, daß es endlich anfängt. Es ist gerade einmal 20 Uhr 30 und die Vorgruppe ist schon durch. Durch die Verspätung meiner U-Bahn habe ich die Unthanks aus England verpasst. Gerne hätte ich die Schwestern Rachel und Becky zusammen mit ihrer Band im Einsatz gesehen, so aber treffe ich sie lediglich hinterher am Merch, kaufe ihre letzte CD und knipse ein paar Erinnerungsfotos von den beiden Grazien. Ihr Folk sei sehr traditionell sagen mir Leute, die sie gesehen haben, aber das wußte ich schon vorher. Was ich allerdings nicht wußte: Sie fahren mit dem riesigen Amy MacDonald Reisebus durch die Gegend! Wow, schick!

Gegen 20 Uhr 50 geht bereits das Licht aus und der Hauptact beginnt. Im Bataclan ist es wie üblich schwülwarm und stickig und dies obwohl man sich draußen den Arsch abfriert (so viel zum Thema Wonnemonat Mai!). Zwei Frauen im Publikum schlägt die Gewächshausluft dermaßen aufs Gemüt, daß sie torkelnd an die Seite gebracht werden. Der muskelbepackte Gorila von der Security bringt Wasser und macht sich endlich mal nützlich, denn die andere Zeit steht er nur doof rum und glotzt auf das Display seines Handys. Wozu braucht man ihn auch schon hier? Als würde es Randale bei den Tindersticks geben! Bei dieser Schlafwagenmusik! Die ersten zwei Lieder sind gähnend langweilig und ich wäre jetzt am liebsten bei Slayer. Wenn sich noch jemand fragt, wie sich Altherrenmusik anhört, dann bekommt er hier die Antwort auf dem Tablett geliefert. Mir fallen fast die Augen zu, wegen der Schwüle und der lahmarschigen Musik da vorne. Ich hätte auf meine Frau hören sollen. Die hasst die Tindersticks, kann diese manikürte Baritonstimme von Stuart A. Staples auf den Tod nicht ausstehen. Immer wenn ich bei gemeinsamen Urlauben, CDs von den Tindersticks in den Player schieben wollte, hat sie die nach zwei Minuten rausgeschmissen und stattdessen zum x-ten Male die Kaiser Chiefs eingeschoben...

Ich bewege mich zur Seite und setze mich gegen eine Wand. Abdösen ist angesagt. Erst als der Song Peanuts erklingt, werde ich wieder wacher. Passt ja auch irgendwie zu den Kaiser Chiefs. Aber wir haben es hier nicht mit Spaßmusikern aus Leeds, sondern ernsthaften Künstlern aus Nottingham zu tun. Da wird nicht gelacht. Die Tindersticks waren schon immer düster, melancholisch und schwermütig, dafür werden sie von ihren ebenso depressiven Fans geliebt. Peanuts (ein guter Song, auch ohne Mary O'Hara, die auf Platte mitsingt!) stammt von dem neuen Album Falling Down A Mountain, das insgesamt wieder hervorragende Kritiken bekommen hat. Ich habe es nicht, tue mich stattdessen immer noch an dem absolut glänzenden Vorgänger The Hungry Saw gütlich. Davon kommt dann auch kurze Zeit später der übernächste Song des Sets. The Other Side Of The World ist zwar schnarchnasig wie der überwiegende Teil des Sets, dafür aber ungemein gediegen, harmonisch instrumentiert (dieses Cello, toll!) und lange im Abgang wie ein süffiger Rotwein. Der farbige Schlagzeuger rührt sein Instrument gewissermaßen, so als würde er Rühreier vorbereiten. Stuart croont dazu wie so ein Welmeister: "If I could touch you down and tell you all the things I never said of how you hide those tears away from me like I couldn't hear"...

Bei Lied Nummer 13 wird es ganz besinnlich. Ein Piano ertönt aus dem Hintergrund, bevor Stuart mit Klampfe unter dem Arm an sein Mikro schlafwandelt und die berührende Ballade Factory Girls vorträgt. Hier erinnert mich Staples an David Bowie, aber auch Leonhard Cohen. Bewegend der Text: "It's is the wine that makes me sad/Not the love I never had/Or the things I've never seen/Or the places I've never been." Für mich der emotionale Höhepunkt des Konzertes, das mir nun immer besser gefällt. Manchmal wird sogar fast ein wenig gerockt, aber diese Passagen bilden doch eher die Ausnahme. Mit Harmony Around My Table fällt auch der vorläufige Abgang recht verhalten aus, wenngleich das Lied mit dem Nananana-Singalong in der Mitte fast fröhlich und beschwingt klingt.

Das Publikum klatscht lange und ausgiebig und bekommt zur Belohnung Can We Start Again. Nun klatschen die Bandmitglieder ihrerseits in die Hände und performen den Klassiker vom 1999er Album Simple Pleasure. Das Publikum geht relativ gut mit, aber von Extase kann man nicht gerade reden. Gutsituierte Bildungsbürger feiern eben gediegen und nie zu wild. Nach No Man In The World scheint dann wirklich Schluß zu sein, aber das Hallenlicht bleibt dunkel. Stuart und seine Truppe kommen tatsächlich noch einmal wieder und spielend das schöne All The Love von meinem Lieblings Tindersticks Album The Hungry Saw.

Unter dem Strich bleibt ein Konzert mit guten Momenten, das mich aber nicht durchgängig gepackt hat, dafür gab es einfach zu viele Phasen gepflegter Langeweile. Vielleicht war ich selbst zu lahm drauf, oder es war einfach zu stickig im Bataclan. Ändert aber rein gar nix daran, daß die Tindersticks eine essentielle Band sind und Stuart Staples ein brillanter Sänger!

Setlist Tindersticks, Le Bataclan, Paris:

01: Falling Down A Mountain
02: Keep You Beautiful
03: Sometimes It Hurts
04: Marbles
05: Bath Time
06: Marseilles Sunshine
07: Hubbard Hills
08: Peanuts
09: She Rode Me Down
10: The Other Side Of The World
11: Tyed
12: Black Smoke
13: Factory Girls
14: A Night In
15: Harmony Around My Table

16: Can We Start Again
17: No Man In The World


18: All The Love

Aus unserem Archiv:

Tindersticks, Paris, 05.05.08



1 Kommentare :

E. hat gesagt…

hier hätten mich die unthanks am meisten interessiert. schade. ansonsten ein sehr feiner und kritischer bericht. gut so!

 

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