Sonntag, 11. September 2011

Dear Reader, Frankfurt, 11.09.11



Konzert: Dear Reader
Ort: Brotfabrik, Frankfurt
Datum: 11.09.2011
Zuschauer: 70-80
Dauer: Dear Reader 80 min, Marching Band 30 min


2oo9 war das Jahr einer bis dahin unbekannten südafrikanischen Band. Dear Reader, frisch bei City Slang unter Vertrag, traten Anfang des Jahres zunächst als Trio, dann verstärkt um Geigern Jean-Louise auf und begeisterten uns (und viele andere) live mit jedem Konzert mehr. Vor allem der Einsatz von Loops, viele kleine Gags während der Auftritte und der Charme von Cherilyn, Darryl, Michael und Jean-Louise machten Dear Reader zu den Stars des 2009er Haldern-Festivals* (der Legende nach waren wir nicht schuldlos daran, daß sie da auftraten).

Zwei Jahre später ist Dear Reader kleiner geworden. Cherilyn ist nach Berlin gezogen, Darryl und Michael leben in Südafrika und sind nicht mehr Teil der Band. Vor zwei Wochen erschien mit Idealistic Animals das zweite Album unter dem Namen Dear Reader, das Cherilyn mit Begleitband zur Zeit live präsentiert.

Weil nirgendwo vermerkt war, ob es eine Vorgruppe gäbe, war ich kurz nach der ausgeschriebenen Startzeit in der Brotfabrik. Der Saal war da schon dunkel, und auf der Bühne stimmten zwei langhaarige Männer Gitarren. Die beiden stellten sich als
Marching Band aus Schweden vor und spielten schöne aber recht belanglose Lieder mit Gitarren- oder Keyboardbegleitung. Das zweite Stücke kennten wir vielleicht, es sei schon einmal in einer How I met your mother Folge gelaufen.** Daß der Auftritt der beiden noch kurzweilig wurde, lag auch an fremder Hilfe. Zum vierten Lied riefen die beiden Sänger nämlich Jean-Louise auf die Bühne, um sie zu begleiten. Allerdings hatten sie sich dabei wohl vertan, denn erst sollte ein Stück kommen, daß die Geigerin nicht eingeplant hatte. "Spiel' einfach immer C Dur!" Die Dear Reader Violinistin machte das, mit immer mehr Selbstvertrauen im Laufe des Lieds. Danach erschien dann auch Cherilyn - und auch sie zu früh. Sie quittierte das mit einem ihrer ansteckenden Lacher und setzte sich an den Bühnenrand. Erst anschließend kam auch sie zu ihrem Einsatz - beim besten Lied der Marching Band, die sich mit "wir kommen gleich wieder, sitzen dann aber hinter anderen Instrumenten!"

Da alles bereits aufgebaut war, war "gleich" eine Viertelstunde später. Neben Cherilyn
und Jean-Louise und den beiden Marching Band-Schweden (Erik Sunbring und Jacob Lind), gehörte auch Martin Wenk von Calexico zur Dear Reader Band. Vor ihm - Calexico eben - standen mehrere Blasinstrumente, aber auch ein Akkordeon und ein Synthesizer. Bis auf den Schlagzeuger (einer der Schweden) spielten alle Musiker mehrere Instrumente. Und weil jetzt eben mehrere Gitarren, Blasinstrumente, Bass, zig Keyboards, Geige, Akkordeon live eingesetzt werden können (weil ausreichend Musiker vorhanden sind), kann Cherilyn auf das Loopen verzichten. Daß diese Technik zu Beginn der Bandgeschichte eine zentrale Rolle gespielt hatte, hatte nämlich den Grund, daß die beiden Gründungsmitglieder Cherilyn und Darryl mit der Loopmaschine fehlende Instrumente ersetzen mussten. Ohne das Loopen, also auch ohne das Einsingen einzelner Töne oder Sequenzen vor dem Lied, ist so ein Dear Reader Konzert viel normaler als früher. Es mag zwar netto gleich klingen, es fehlen aber die vielen kleinen, liebgewonnenen Effekte.

Aber es geht ja voran, alten Lieben nachzutrauern hilft nicht. Und das, was folgen
sollte, war dann ja auch alles andere als ein schlechtes Konzert.

Die Lieder vom neuen Album brauchen länger als die Vorgänger, um im Ohr
hängenzubleiben. Nach dem ersten Hören der Platte fehlten mir die Hits. Erst nach und nach spielen sich einzelne Titel in den Vordergrund, das war bei mir zunächst die Single Monkey, dann recht schnell Camel. Aber für Überlieder wie Bend, Great white bear oder Dearheart ist Idealistic Animals wohl zu ruhig und zu traurig im Grundton.

Gegen zu ruhige Lieder kann man ja live arbeiten,
indem man es ordentlich scheppern läßt, so geschehen bei Man oder Mole - zwei Höhepunkte des Sets!

Cherilyn MacNeil verläßt sich aber auch auf die Qualität der neuen Stücke. Von den 17 gespielten Liedern stammten nur vier vom ersten Album (plus Heavy als iTunes Zugabe damals), stattdessen spielte die Band gleich zwei aktuelle B-Seiten. So etwas macht man nicht, wenn man unsicher ist, wie gut die neuen Lieder ankommen.

Mir gefiel das Konzert sehr gut, weil ich erwartet
hatte, daß es nicht wie früher werden würde. Ich war also nicht enttäuscht, daß Schlagzeuger Michael nicht grinsend für einen einzelnen Keyboardton nach vorne kam. Die neuen Dear Reader sind immer noch eine schrecklich charmante Band mit tollen Stücken. Und wenn die irgendwann schlechter würden, wäre da ja immer noch das entwaffnende Lachen der Sängerin.

Ganz ohne kleine Gags ging es aber auch diesmal nicht, nur übernahm jetzt Geigerin Jean-Louise den Part der anderen. Als sich Cherilyn ein geliehenes Akkordeon umhängte, um Whale anzustimmen, kletterte die Violinistin nach vorne und drückte den ersten Ton auf dem Schifferklavier. Schön!

Setlist Dear Reader, Brotfabrik, Frankfurt:

01: Kite
02: Bear
03: Dearheart
04: Earthworm
05: Elephant
06: Whale
07: Heavy
08: Release me
09: Great white bear
10: She's her's, he's his, I'm mine
11: Fox
12: Man
13: Mole
14: Camel
15: Monkey

16: Bend (Z)
17: Traditional white (Z)

Links:

- aus unserem Archiv:
- unser Interview mit Dear Reader 2009
- Dear Reader, Wien, 08.10.09
- Dear Reader, Marburg, 06.10.09
- Dear Reader, Düsseldorf, 28.09.09
- Dear Reader, Haldern, 15.08.09
- Dear Reader, Berlin, 07.08.09
- Dear Reader, Paris, 06.05.09
- Dear Reader, Nijmegen, 25.04.09
- Dear Reader, Köln, 18.04.09
- Dear Reader, Paris, 19.02.09
- Dear Reader, Köln, 12.02.09

* Archivfoto vom Haldern Pop Festival von Oliver Peel
** ich mit meiner Kanada-Vorliebe achte da nicht auf Musik



 

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