Dienstag, 14. Mai 2013

Frank Spilker, Stuttgart, 12.05.2013

Konzert: Frank Spilker (als Special Guest beim Song Slam Stuttgart)
Ort: Rocker 33, Stuttgart
Datum: 12.05.2013
Zuschauer: vermutlich über 200
Dauer: 25 Minuten


Wettbewerbe ziehen immer. Zu Poetry Slams versammeln sich häufig Menschen, die in ihrer Freizeit höchstens sporadisch einmal einen Lyrikband in die Hand nehmen würden. Ähnlich verhält es sich mit Song Slams. So sprechen diese Sängerwettkämpfe in nicht unbeträchtlichen Ausmaß ein Publikum an, dass sich für gewöhnlich recht selten auf Konzerte verirren dürfte. Gerade das macht sicherlich einen Reiz der Veranstaltung aus, insbesondere für die Verantwortlichen, gelingt es doch auf diese Weise neue Zielgruppen zu erschließen und gleichzeitig ein regelmäßiges Event zu schaffen, während sich Slams positiv als eigene kulturelle Szene etablieren.

Der Stuttgarter Song Slam ist seit einem Jahr im Stuttgarter Kulturleben fest integriert. Dennoch mache ich mir selbst erst bei der zehnten Auflage vor Ort ein Bild des Geschehens. Ausschlaggebender Grund, der mich an einem nasskalten Sonntagabend im Mai ins Rocker 33 in unmittelbarer Nähe meines Campus' führte, war die Ankündigung Frank Spilkers als Special Guest. Seit Bestehens gehört es fest zum Konzept, einen bekannten Star-Gast einzuladen, der ein kurzes Set, während des Singer-Songwriter-Battles spielen soll.
Auch wenn Die Sterne nie meine Lieblingsband aus der Bad Salzufler Fast Weltweit - Szene war, die später – zumindest im Feuilleton – als Hamburger Schule populär wurde, zählt Spilkers große Band zu den wichtigsten deutschen Acts der letzten zwanzig Jahre. Songs wie „Was hat dich bloß so ruiniert“, „Fick das System“ oder „Universal Tellerwäscher“ sind unsterbliche Klassiker, denen ein fester Platz im Kanon deutschsprachiger Popmusik gebührt. Live machten sich Die Sterne in letzter Zeit ziemlich rar, sodass es noch zu keiner Konzertbegegnung kommen konnte. Frank Spilker selbst tritt ohnehin eher selten als Solomusiker in Erscheinung und fiel in den letzten Wochen und Monaten vor allem mit Lesereisen zu seinem gleichermaßen originellen wie gelungenen Debütroman „Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen“ auf.
Mit sechs Akustikversionen alter Sterne-Klassiker und Solosongs rechtfertigt der 47-Jährige meinen Besuch des Stuttgarter Song Slams. Dass die restlichen Acts zum Vergessen waren und in diesem Bericht keine besondere Erwähnung finden, ist da völlig nebensächlich. 
"In einem Laden zu sitzen, der uns persönlich nichts bringt, / Macht uns nächtelang schwitzen, weil der Tag nicht so swingt." Im schwarzen, die oberen Knöpfe geöffneten Hemd, das eine Goldhalskette offenbart, eröffnet der buchstäblich riesige Musiker die erste Hälfte seines viel zu kurzen Sets mit "Widerschein", einer großartigen Sterne-Single. Der 1996 veröffentlichte Song ist in vielerei Hinsicht typisch für den Sound der Band Mitte der 90erDie reduzierte Akustikversion Spilkers punktet vor allem in der stoischen Vermittlung. „Ich laufe heute wohl außer Konkurrenz. Einer meiner Kollegen bat mich Backstage schon einmal das Niveau zu senken. Das fällt mir leicht, schließlich spiele ich als erster“, kündigte der Hamburger seinen Opener an, dessen ersten Zeilen wohl auch auf Spilkers Auftritt bezogen werden könnte. Persönlich dürfte ihm dieser Auftritt wenig bringen, Fans sind kaum da, das Publikum ist während des kurzen Sets störend unruhig. Spilker hingegen ist die Ruhe in Person, legt lyrisch ein enorm hohe Messlatte, wischt sich eine lange Strähne aus dem Gesicht, kündigt „Es sieht gut aus“ aus dem 2005er Album der Frank Spilker Gruppe an. Lakonisch beginnt die beschwingte Loserballade mit dem scheinoptimistischen Text. „Du weißt, wenn man Briefe nicht öffnet, / dann gelten sie trotzdem als zugestellt. / Und daß sich zu deinen Problemen / auf diese Art noch eins zugesellt. / Doch jedes Mal, wenn es schwierig wird, / schwörst Du wieder auf diese Taktik. / Es sieht gut aus es sieht sehr gut aus, / wenn man nicht so genau hinsieht.“ Es sind Lieder wie dieses, die den Unterschied zur großen grauen Masse deutschsprachiger Poplyrik offenbaren. Man muss kein Schreihals sein, um gehört zu werden und erst recht kein weinerlicher Liedermacher aus provinziellen Metropolen, der die Charts stürmt, um zu berühren. Wie viel wertvoller sind doch pointierte Alltagsbeobachtungen, die einen tatsächlich nachdenklich stimmen, was keinesfalls mit peinlich berührt verwechselt werden sollte. „Was wollen wir machen, Therapie? / Oder gehen wir noch mal einen heben?“ Zahlreich sind die Musiker, bei denen so ein Vers wie gewollter Zynismus wirkt. Bittertraurige Bilder zu malen, die nicht auf ein zynisches Weltbild abzielen, erscheint weitaus schwieriger. Wie vielen Hamburger Kollegen gelingt es Spilker gekonnt; fraglos ist er einer der besten Lyriker der nationalen Popgeschichte. 


Wer daran zweifelt, wird auch im Rocker 33 sogleich eines Besseren belehrt. „Universal Tellerwäscher“, das meines Erachtens außergewöhnlichste, ja beste Stück der Sterne, öffnet die Augen. Der KulturSPIEGEL fragte ihn vergangenen Monat in der Rubrik „Mit 17 hat man noch Träume“ nach dem Sterne-Titel, den er wählen würde, falls er eine Autobiografie schreibe. Die Antwort referiert auf den Song: „Universal Tellerwäscher. Als der Song entstand, gab es nur die Filmproduktion, heute heißt auch das größte Plattenlabel so. Ziemlich gut für eine Musiker-Biografie.“ In der minimalistischen Akustikversion entfaltet der Text seine Wirkung ausgezeichnet. Immer politisch engagiert, findet sich Sozialkritik in den meisten Sterne-Liedern. „Universal Tellerwäscher“ ist dabei als Exempel zu verstehen. Neben „Was hat dich bloß so ruiniert?“ ist es ihr womöglich bekanntester Song. Man wippt auf den Hockern im bestuhlten Club hin und her, ertappt sich selbst beim Mitsingen, während zu viele desinteressiert wirken. „Von euch wird erwartet die erste Strophe mitzusingen. Das ist ja ein Lied in der Tradition von Hank Williams und Woody Guthrie, da ist das üblich.“ Bedauerlicherweise macht kaum einer mit. „Danke, bis später. Viel Spaß!“ Dennoch lächelnd verlässt der Protagonist mit dem markanten, schmalen Oberlippenbart die Bühne und macht Platz für den Song Slam.

Nach Kandidaten in „hirnlos“-T-Shirts, Songs „über's Ficken“, Uli Hoeneß' Penis oder Mathematik, die nicht weiter kommentiert werden sollen, freue ich mich umso mehr über die Rückkehr des Hamburgers, der noch drei weitere Lieder spielen wird.

Das nächste ist eines meiner ältesten Lieder, das ich auch schon sehr lange nicht gespielt habe. Das dürfte, ja, das müsste noch aus den 80ern sein.“ Der melancholische Trink- und vermutlich auch Trennungssong ist ein entspanntes Chanson in der Tradition eines Serge Gainsbourg. „Der Mond und ich / Wir sind schon wieder voll / Wir hatten uns geschworen / Nie mehr“. Konsequenterweise ist „Ihr wollt mich töten“, das es direkt im Anschluss gibt, ein ganz neuer Song, den es wohl auch immer wieder in der Akustikversion auf den Lesungen zu seinem ersten Roman zu hören gibt. „Das ist ein Country-Song, wenn man davon ausgeht, dass man einen Country-Song hat, wenn es um Loser geht, die sich wehren wollen.“ Die zuvor gezogene Verbindung zu Woody Guthrie und Hank Williams, hier hat sie ihre Berechtigung. Wie Nils Koppruch gelingt es Spilker countryeske Klinge mit guter Lyrik zu kombinieren; in Deutschland ist das nahezu ein Unikum. Eine umgekehrte Mörderballade, ein Großstadt-Blues, ein begeisterndes Lied. Leicht erkältet, muss er kurz husten.



Zum Schluss noch einen Sterne-Klassiker, "Wenn Dir St. Pauli auf den Geist fällt“. Ein guter Sänger im klassischen Sinn, war Frank Spilker freilich nie, wohl aber ein außergewöhnlicher, wer Texte dieser Klasse schreibt, ist ohnehin nicht mit den üblichen Attributen zu umschreiben. „Ich möchte mich in die Ecke verkriechen / aber hilft nicht / Ich könnte den ganzen Tag nur noch schreien / aber nein / Da hilft nichts auf der Welt / wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt“. Ich wünsche mir innerlich, weitere Lieder. Es soll nicht passieren, der größte Hit wird ausgespart, es ist Schluss. Trotzdem spielt Spilker ein ausgezeichnetes Set, das das Niveau des Abends ungleich erhöht.

Den Song Slam gewinnt übrigens ein badisches Hip Hop – Duo mit Songs über Vergebung oder Vergeltung, ich weiß das nicht mehr so genau, Blut und jeder Menge Selbstbewusstsein: „Wollt ihr als nächstes einen Song zum Abgehen oder einen mit richtig krassem Tiefgang?

Für das kommende Jahr soll die Veröffentlichung eines neuen Die Sterne – Albums geplant sein. Es ist wieder an der Zeit. Wir brauchen euch, wirklich!

Setlist, Frank Spilker, Stuttgart:

01: Widerschein (Die Sterne - Song)
02: Es sieht gut aus 
03: Universal Tellerwäscher (Die Sterne - Song)

PAUSE (Song Slam)

04: Der Mond und ich
05: Ihr wollt mich töten
06: Wenn Dir St. Pauli auf den Geist fällt (Die Sterne - Song) 


Links:
- aus unserem Archiv:
- Die Sterne in Frankfurt, 08.11.2012  

 

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