Montag, 24. Juni 2013

Portishead, Hilvarenbeek, 23.06.13


Konzert: Portishead
Ort: Best Kept Secret Festival, Hilvarenbeek
Datum: 23.06.2013
Zuschauer: einige Tausend
Dauer: 70 min




Wer braucht eigentlich all diese hippen Ein- bis Zweitagsfliegen wie Everything Everything, Palma Violets oder Suuns, wenn man Portishead haben kann? In ein paar Jahren wird niemand mehr eine dieser aktuellen Bands der Stunde kennen, Portishead werden immer noch herausragende Konzerte spielen. So wie das heute. 

Als wir am frühen Nachmittag beim Best Kept Secret Festival am Rande eines Safariparks mitten in den Niederlanden ankamen, war erst alles wunderbar. Man parkt im Wald, geht ein paar Meter bis zu Kassenhäuschen, an denen ohne Wartezeit Tickets in Bändchen getauscht wurden und ist zwei Minuten später über einen Waldweg auf dem eigentlichen Gelände. So weit, so gut. Als wir den ersten Erkundungsgang starteten, setzte der erste Regen des Festivals ein- und übertrieb gleich ein wenig. Es schüttete so sehr, daß jeder, der keinen Platz unter einem der Zelte fand, klatschnass wurde. Toller Start!


Die beiden großen Bühnen des Festivals, eine Openair und eine in einem rechteckigen Zelt hatten ein so interessantes Programm, daß wir zwischen denen wechseln wollten. Local Natives, Everything Everything, dann Palma Violets, Suuns, Kurt Vile, Portishead und Sigur Rós, immer im Wechsel.  Local Natives fanden draußen im apokalyptischen Regen statt, und damit ohne uns. In einer kurzen Regenpause versuchten wir, an die Bühne ranzukommen, wegen zu großer Menschenmassen, war das aber nicht gut möglich. Da der Veranstalter den Fehler fast aller Festivalveranstalter machte und beim Zeitplan vom theoretisch Möglichen ausging und eine Band beginnen ließ, nachdem die andere den letzten Ton gespielt hatte, statt 5 min Pause dazwischen einzubauen, musste man auf den Beginn oder das Ende eines Konzerts verzichten, um das nächste annehmbar zu sehen. Das ist großer, vor allem unnötiger Mist. Wir entschieden uns also für den trockenen und bequemen Weg und blieben im Zelt und sahen da Everything Everything und Suuns quasi als Vorprogramm meines eigentlichen Festivalbesuchsgrunds.


Ein großes P auf der Videowand im Bühnenhintergrund leitete das auf eine Stunde angesetzte Konzert von Portishead ein, dazu der russische Einleitungstext von Band, mit dem Silence vom dritten Album der Briten beginnt. Silence war das erste von zwölf atemberaubenden Liedern, die aufregend und vor allem stilvoll aufgeführt wurden. 

Die Band trat in großer Besetzung auf. Neben Beth Gibbons, Geoff Barrow und Adrian Utley waren vier weitere Musiker auf der Bühne, ein Schlagzeuger, zwei Keyboarder und ein Bassist (soweit ich das erkannt habe). Und obwohl Sängerin Beth sich ganz anders verhält, als jedes Rock'n'roll Lehrbuch dies für Sänger vorschreibt, ist sie der Hingucker während eines Konzerts. Sie ist insofern nicht vorschriftsgemäß, weil sie nur am Mikro steht, wenn sie singt und sich danach abwendet und meist zum Schlagzeug geht - mit dem Rücken zum Publikum. Ich weiß nicht, was der Grund dafür ist, es macht die nicht-Frontfrau unglaublich cool (und irgendwie erhaben).


Seit ihrem Auftritt in Köln (im Palladium) sind einige Jahre vergangen. Ich hatte auch vergessen, wie eindrucksvoll der Rest der Band ist. Natürlich ist es schwer, auf Distanz und als Musiklaie einzuschätzen, wieviel der vielen kleinen Geräusche, die die schrecklich komplexen Portishead-Stücke ausmachen, live erzeugt werden. Ich hatte aber wieder den Eindruck, daß ein Großteil live eingespielt wird, ähnlich wie dies bei The Notwist oder The xx der Fall ist. Um keinen falschen Eindruck zu erzeugen: ich rede nicht von diesen Halb- bzw. Ganzplayback-Bands, die die großen Hallen füllen wie The Knife oder Madonna oder Rammstein und deren musikalische Herangehensweise. Ich war vielmehr davon überzeugt, daß viele der Geräusche eines Portishead-Lieds auf der Bühne am Synthesizer erzeugt würden. Und das war eben nicht der Fall. Selbst das Gefehrfeuer bei Machine gun stammt zum großen Teil von Drumpads und wurde live erzeugt. 

Wenn "handgemacht" im Zusammenhang mit Musik nicht so ein schrecklicher Begriff wäre, würde ich ihn hier verwenden.


Weil Portishead scheinbar nicht an neuem Material arbeiten (oder sich ähnlich wie The Notwist schwer tun, dieses zu schnell zu spielen), war das Set nicht überraschend. Einige der Hits der drei Alben mit Schwerpunkt auf Third und Dummy und zusätlich nur die Single Chase the tears, die vor ein paar Jahren veröffentlicht wurde. 


Dabei waren trotz der vielen Risenhits wie Glory box oder Sour times oder Mysterons das höllisch laute Machine gun, We carry on und mein leiser Liebling The rip die größten Stücke des Abends. Ich hatte Third viel zu lange nicht gehört und auch vergessen, wie unfassbar schön The rip ist. Hätten Portishead 70 min lang nur dieses Lied gespielt, wäre ich höchstwahrscheinlich genauso glücklich nach dem Auftritt gewesen.*


Einmal geriet das Konzert etwas aus dem Tritt. In den Pausen zwischen den Songs gab es keine Ansagen (oder Thank yous). Es gab frenetischen Applaus des rappelvollen 5.000er Zelts.** Nach Sour times gab es ein Problem, das nächste Stück (was auch immer das gewesen wäre) konnte nicht gestartet werden. Beth Gibbons kletterte von der Bühne in den Fotograben - leider auf der falschen Seite. Nach einer für Portishead sehr langen Pause begann die Band nach Absprache untereinander Machine gun, die Setlist schien geändert worden zu sein.

Angesetzt waren Portishead für 60 min, sie spielten 70. Als We carry on ausklang, spielten Sigur Rós schon. Um dort einen anständigen Platz zu bekommen, hätten wir früh Portishead verlassen müssen. Das zu tun, wäre eine riesige Dummheit gewesen. Außerdem war das Zelt vorne viel zu voll, wir wären nicht rausgekommen, hätten wir es versucht.

Portishead 2013 gesehen zu habe, bereichert mein ohnehin nicht an Höhepunkten armes Konzertjahr noch einmal enorm!

Setlist Portishead, Best Kept Secret Festival:

01: Silence
02: Mysterons
03: The rip
04: Sour times
05: Machine gun
06: Over
07: Glory box
08: Chase the tears
09: Cowboys
10: Threads
11: Roads
12: We carry on

* Portishead performing The rip wäre mal eine Idee fürs Primavera Festival
** geschätzt



1 Kommentare :

Gudrun hat gesagt…

Naja, so selten wie man Portishead live sehen kann - da brauche ich auch schon noch eine Weile ein paar anderer Bands... Aber ansonsten gebe ich Dir natürlich gern Recht und bin schrecklich neidisch...

 

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